Invasive Arten bedrohen nicht nur angestammte Tiere und Pflanzen, sondern auch den Menschen.
Sie sind süß anzuschauen, die grau melierten Bärchen mit der schwarzen Zorro-Maske und den Patschpfoten. Doch die ursprünglich in Nordamerika beheimateten Waschbären sind in Wirklichkeit alles andere als putzig: Sie plündern hierzulande Mülltonnen, futtern sich durch Vorräte, die in Schuppen lagern, sowie durch die heimische Tierwelt. So fanden ein Team des Senckenberg Forschungszentrums für Biodiversität und Klima sowie mehrere lokale Naturschutzorganisationen eindeutige Hinweise, dass hiesige Frösche und Kröten Jagdopfer der pelzigen Allesfresser geworden waren. Um Giftdrüsen von Amphibien auszuweichen, hatten die Waschbären diese offenbar gehäutet.
„Gebietsfremde, invasive Arten sind ein Riesenproblem“, sagt Sven Bacher, Leiter der Arbeitsgruppe Angewandte Ökologie der Universität Freiburg in der Schweiz. Er ist einer der Autoren des aktuellen Berichts des Weltbiodiversitätsrats (IPBES). Seit den 1950er-Jahren gibt es weltweit einen starken Zuwachs der gebietsfremden Lebewesen. Von den rund 37.000 registrierten Tier- und Pflanzenarten gilt etwa jede zehnte als „invasiv“, richtet also Schäden in ihrer neuen Heimat an. Oftmals verdrängen sie dort die angestammten Spezies. Mehr als die Hälfte der dokumentierten, weltweit ausgestorbenen 1200 Arten geht ganz oder teilweise auf das Konto der Invasoren. Etwa das Europäische Eichhörnchen auf den Britischen Inseln: Innerhalb weniger Jahrzehnte wurde es vom nordamerikanischen Grauhörnchen verdrängt, das körperlich deutlich robuster ist.
Geht die Entwicklung weiter wie bisher, kommen bis zum Jahr 2050 noch einmal 36 Prozent neue invasive Arten hinzu, stellt der IPBES-Bericht fest. Denn die größten Triebkräfte für die Verbreitung fremder Arten werden sich in den kommenden Jahrzehnten verstärken: der globale Handel und der Klimawandel.
Die Invasoren kommen auch über das Internet – und das Gartencenter
Welche ökologischen Folgen das haben wird, lässt sich schwer vorhersagen. Die wirtschaftlichen Auswirkungen bisher sind jedenfalls enorm. Eingewanderte Stechmücken etwa übertragen Infektionskrankheiten, neue Schädlinge verursachen Verluste in der Forst- und Landwirtschaft, und invasive Muscheln verstopfen Rohre von Industrieanlagen. In nur sechs Jahrzehnten haben sich diese Schäden weltweit auf mindestens 976 Milliarden Euro summiert, ermittelten Forscher um Phillip Haubrock vom Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt. Die Ausgaben für Präventionsmaßnahmen, die verhindern sollten, dass sich ortsfremde Spezies verbreiten, waren im selben Zeitraum mit 2,5 Milliarden Euro dagegen gering. Das sei ein großes Manko, sagt Haubrock: „Unsere Forschung zeigt deutlich, wie wertvoll ein vorbeugender Ansatz wäre. Doch es ist schwierig, Entscheidungsträger davon zu überzeugen, in etwas zu investieren, das noch kein Problem darstellt.“ Die Folge: „Wenn wir die Auswirkungen invasiver Arten auf die Umwelt erkennen, haben diese sich oft schon fest eingebürgert und weit verbreitet.“
Im globalen Handel werde das Thema oft noch zu nachlässig behandelt, sagt Ökologe Sven Bacher. „Wir brauchen bei der Aus- und Einfuhr konsequente Kontrollen auf eventuell verschleppte Arten.“ Zudem müssten alle Länder Aktionspläne entwickeln, die regeln, was geschehen soll, wenn eine neue Art ins Land gelangt. Bacher beschreibt das an einem aktuellen Beispiel: Im Juli 2023 tauchte an einigen Orten in der Schweiz der gefräßige Japankäfer auf. Daraufhin beschlossen staatliche Stellen, die Käfer sofort und entschlossen mit Insektiziden zu bekämpfen. So konnte eine Ausbreitung der Insekten verhindert werden.
Nicht immer gelingt eine solch schnelle Aktion. Als in Norditalien erstmals das amerikanische Grauhörnchen in freier Wildbahn gesichtet wurde und Jäger begannen, die Tiere abzuschießen, gab es Proteste in Teilen der Bevölkerung. Die Jagd wurde vorläufig eingestellt; die Leute diskutierten über das Für und Wider der Bekämpfung. Danach war es zu spät: Das Grauhörnchen hatte sich so stark verbreitet, dass es nicht mehr einzuhegen war.
Auch hierzulande gibt es vielstimmige Diskussionen darüber, ob und wie eine eingewanderte Art zu bekämpfen sei, etwa der Waschbär oder die Nutria, eine aus Südamerika stammende Nagetierart.
„Wir sind glücklich, dass es mit dem aktuellen IPBES-Bericht eine weltweite Einigung zum Thema invasive Arten gibt“, sagt Bacher. Dazu gehören Maßnahmen zur Vorbeugung der Artenverbreitung, zum Monitoring neuer, bereits etablierter Spezies und zur Aufklärung der Bevölkerung. Die Natur kann sich mit solchen Veränderungen zumindest in Teilen arrangieren. Wer am meisten darunter leide, sei der Mensch, der sich nicht so schnell anpassen könne, sagt Bacher: „Gesundheit, Ernährungssicherheit und Wasserversorgung beispielsweise werden durch invasive, gebietsfremde Arten tiefgreifend und negativ beeinflusst.“ Die Menschen in reicheren Ländern tragen für die heimischen Arten besondere Verantwortung, sagt er. „Je mehr wir im Internet bestellen, je öfter wir in entlegenen Regionen Urlaub machen, umso größer ist das Risiko, gebietsfremde Arten zu verbreiten.“ Und auch wer exotische Haustiere online ordert oder neue, besonders seltene Pflanzen im Gartencenter kauft, trägt dazu bei, dass sich unliebsame „Mitreisende“ ins Land einschmuggeln.