Schon beim ersten Treffen knisterte es zwischen ihnen: Wie eine Affäre Siegmunds Leben aufwirbelte und ihn kurz darauf zum Single machte – wenn auch nur vorübergehend.

 

Rund ein Drittel der Deutschen ist schon einmal fremdgegangen – doch was steckt hinter dem Wunsch nach einer Affäre? In der stern-Serie „Meine Affäre“ erzählen Menschen offen von heimlichen Beziehungen, verborgenen Sehnsüchten und Momenten, in denen Treue und Partnerschaft neu verhandelt werden. 

Sie stand plötzlich vor mir, und sagte: Sie können sich schon mal dahin setzen. Ich antwortete, dass ich mich drüben hinsetzen würde, dort, wo die Männer frisiert würden. Oh, sagte sie, heute schneide ich Ihnen die Haare. Ich war verwirrt, so eine schöne Frau in einem Laden, in dem sonst nur Friseure anderen Männern die Haare schnitten, eher rasierten. Es war ein Samstag im Frühjahr 2018, ich war wie gewohnt alle sechs Wochen zu meinem Friseur gegangen und wurde von der Situation überrascht. Während ich unter ihrer Schere saß, kamen wir ins Gespräch. Sie verriet mir ihren Namen, Elena*. Ihre Haare waren dunkel wie ihre Augen. Neben ihrem Aussehen begeisterte mich ihre interessierte, offene Art. Als Friseurmeisterin war sie natürlich auch ein Kommunikationsprofi. Wir sprachen über meinen Beruf. Sie erzählte aus dem Kosovo, wo sie aufgewachsen war. Ich fragte sie ohne Hintergedanken nach ihrer Nummer und schlug vor, dass wir uns irgendwann einmal auf einen Kaffee treffen. Ja, meinte sie, gerne.

Damals war ich in einer Beziehung. Seit 18 Jahren. Wir hatten uns Monate zuvor gestritten, und ich war in eine eigene Wohnung gezogen. Seitdem sahen wir uns an den Wochenenden, ich besuchte sie, sie besuchte mich, und dann schliefen wir miteinander. Es war eine Beziehung auf Distanz. In den vergangenen Jahren hatten wir auch sexuelle Begegnungen mit anderen Menschen. Zwei Liebhaber haben uns nacheinander begleitet, der eine sogar länger als zehn Jahre. Zu den Sex-Dates sind wir immer gemeinsam gegangen, und nur ganz selten traf Corinna* ihren Liebhaber allein. Wir haben also nicht sexuell, sondern emotional monogam gelebt. Und trotzdem fühlte sich das, was ich mit Elena erlebte, sofort wie Fremdgehen an.

Noch im Café hat unsere Affäre begonnen

Einen Tag nach meinem Friseurbesuch schrieb mir Elena eine Nachricht und fragte, ob ich sie vergessen hätte. Ich habe gedacht: Wie meint sie das? Ich war doch gestern erst im Laden gewesen! Da ich nichts anderes zu tun hatte, haben wir uns in einem Caféhaus verabredet. Und noch während wir dort saßen, hat unsere Affäre begonnen. Als wir uns zum ersten Mal umarmten, zitterte sie am ganzen Körper, etwas, das sie noch nie zuvor mit einem Mann erlebt habe, erzählte sie. Wir fühlten uns so stark voneinander angezogen, dass wir an einen Tisch ins Nebenzimmer wechselten. Dort hatte eine geschlossene Gesellschaft gesessen, der Kellner räumte gerade auf. Wir saßen abseits und haben uns geküsst und berührt, drei Stunden lang. Ich fand die Szenerie aufregend, dieses erotische Spiel im öffentlichen Raum. Das kam mir verrucht vor. Außerdem fühlte ich mich begehrt wie schon lange nicht mehr.

Ein paar Tage später hat sie mich in meiner Wohnung besucht, wo wir das erste Mal Sex hatten. Wir haben uns sechsmal in etwas mehr als zwei Monaten getroffen, und jedes Mal sind wir übereinander hergefallen. Ich war geil auf sie, und sie auf mich. Da war eine Gier, ein Begehrtwerden, eine Lust, die ich lange nicht verspürt hatte. Tür auf, Klamotten runter, wie im Film. Wow, dachte ich, wie kann es sein, dass sich Elena für mich interessiert, ausgerechnet mich? Ich war damals 52, und hätte man mich ein paar Wochen zuvor gefragt, ob ich mich begehrt und attraktiv fühle, ich hätte verneint. Aber Elena streichelte mein Ego. Sie war vielleicht 45 Jahre alt und wirkte so sexy. Viel weiblicher als meine Partnerin Corinna, die ihre Reize selten betonte und sich eher schlicht und casual kleidete. 

Eines Nachts, zwei Monate später, lag ich bei Corinna im Bett. Wir hatten einen feinen Tag miteinander erlebt und am Abend gevögelt, waren wohlig erschöpft, und da formte sich ein Satz in meinen Gedanken: Ich hoffe, wir können Freunde bleiben. Was? Wie? Nein, dachte ich. Ich habe mich auf die andere Seite gedreht, aber der Satz kam wieder. Ich habe mich zurückgedreht, der Satz blieb. Und so habe ich ihn ausgesprochen. Corinna fragte: Machst du gerade Schluss mit mir? Und ich antwortete: Ich glaube schon. Das hatte ich nicht beabsichtigt. Es war, als hätte etwas durch mich hindurch gesprochen. Corinna weinte, ich auch. Wir haben uns aneinander gekuschelt und uns umarmt, so fest wie schon lange nicht mehr. Da war ein großer Abschiedsschmerz.

Elena schrieb: Das mit uns hat keine Zukunft

Als ich später in der Nacht auf die Toilette gegangen bin, habe ich die Nachrichten auf meinem Handy gecheckt und gesehen, dass Elena geschrieben hatte: Das mit uns hat keine Zukunft, es ist vorbei. Sie war Single, sie hatte in unserer Affäre eine mögliche neue Beziehung gesehen, hat sie mir später erzählt. Ich habe jedoch nicht erwartet, dass wir zusammenkommen. Mir wurde mit einem Mal bewusst: Nun habe ich niemanden mehr, mit dem ich zusammen nackt sein kann. Niemanden, der mit mir frühstückt, kuschelt, Sex hat, das Leben teilt. Ich war noch nie allein gewesen, und die meisten meiner Beziehungen hatte ich beendet, nicht die Frauen. In was war ich da also hineingeraten? Ich bin gläubig im spirituellen Sinn. Doch das war dann mega heftig und hat mich emotional und mental beunruhigt. Warum passierte mir das? Was war die Message? Was musste ich lernen? Das waren quälende Fragen, auf die ich keine Antworten hatte oder bekam.

Rückblickend bin ich dankbar für diese Nacht. Ich bin dankbar für die Affäre, weil es eine schöne, auch geile Erfahrung war und sie das Ende einer Beziehung markiert hat, die eigentlich schon keine mehr war. Sie hat eine Entwicklung in mir angestoßen. Ich habe mich mit meinen Ex-Beziehungen auseinandergesetzt, habe meine Verhaltensmuster reflektiert und mich auf eine Reise zu mir selbst begeben. Gleichzeitig habe ich mich auf Parship angemeldet. Um mein Profil gestalten zu können, musste ich mir so viele Fragen beantworten: Wer bin ich eigentlich? Was für ein Typ bin ich, für welche Werte stehe ich? Wie möchte ich künftig Beziehungen leben? Welche Interessen habe ich? Wie möchte ich, dass wir miteinander umgehen, wenn wir uns mal gestritten haben? Wie möchte ich meine Sexualität leben? Zum ersten Mal war ich Single und habe versucht, mir selbst genug zu sein. Ich bin wandern gegangen. Ich habe aufgeschrieben, wie ich mir meine künftige Partnerin vorstelle. Optisch, aber auch charakterlich. Spiritualität sollte ihr wichtig sein. Die Zeilen habe ich auf einen kleinen Altar gelegt. Immer mal wieder hatte ich kurze Beziehungen über zwei oder drei Monate, bis ich vor sechs Jahren meine jetzige Freundin kennengelernt habe.

Keine Leidenschaft ist auf Dauer alltagsfest

Als ich Sophie* das erste Mal besucht habe, hat sie mir gleich nach meinem Eintreten ihre Hände auf meine Unterarme gelegt. Sie wollte spüren, ob wir auf energetischer Ebene zusammenpassen. Das kam mir trotz meiner eigenen energetischen Ausbildungen schräg vor. Dann haben wir einander die Hände auf den Brustkorb gelegt. Später sagte sie mir, dass dies der tantrische Gruß sei. Nachdem ich diese Art Prüfung bestanden hatte, setzten wir uns auf den Balkon. Wir haben bis drei Uhr am nächsten Morgen darüber geredet, wie wir unsere Sexualität leben wollen. Was unsere Schwächen sind. Wie wir uns eine Beziehung vorstellen. Wir waren brutal ehrlich miteinander. Sophie sagte: Alles andere macht keinen Sinn. In unseren ersten beiden Nächten sind wir nicht übereinander hergefallen. Ich habe stattdessen meine Unterhose anbehalten und mich nur um Sophie gekümmert. Das hat sie anfangs irritiert, aber sie hat meine Berührungen genossen. Wir haben so viel miteinander gekuschelt, wie ich es in meinen zwei früheren Langzeitbeziehungen nie erlebt hatte.

Inzwischen habe ich hunderte Stunden Selbsterfahrung gemacht, habe mich mit meinen Prägungen aus der Kindheit, mit meinem Bindungsverhalten beschäftigt. Ich habe ein Coaching mit einer traumasensibel arbeitenden Psychologin durchlaufen, habe eine Therapie gemacht, in der es um Kindheitserfahrungen oder auch unerkannte Traumata aus der Kindheit ging, und parallel dazu habe ich eine Ausbildung zum psychosozialen Berater absolviert. Diese Entwicklung hätte ich nicht durchgemacht, ohne den Schock, über Nacht allein dazustehen. Diese seelische Krise ist eines der besten Dinge, die mir im Leben passiert sind.

Ich glaube, dass sich die Leidenschaft einer Affäre nicht auf eine Beziehung übertragen lässt, in der es um so viel mehr geht als um Geilheit. Sie erfordert Selbstreflexion, Toleranz, Wertschätzung und Respekt, und ja, sie bedeutet auch Arbeit. Ich hatte vor Elena schon mal eine Affäre, sie liegt Jahrzehnte zurück. Der Sex in beiden Affären war ähnlich, nämlich animalisch, leidenschaftlich und auf seine Weise wertvoll. Gefährlich wird es nur, wenn sich Menschen in Affären verlieren und denken, die seien besser als ihre Beziehung, weil der Sex gut ist. Keine Leidenschaft ist auf Dauer alltagsfest, und das ist vielleicht auch das Geheimnis einer Affäre: Sie lebt von der Ausnahme, vom Besonderen.

*Die Namen der weiblichen Protagonisten wurden anonymisiert.