Ende April wurde die digitale Krankenakte „ePA“ eingeführt, ab Oktober müssen Ärzte sie befüllen. Was bringt das für Patienten in Hessen?

Sie haben keine ePA und müssen nicht weiterlesen? Da haben Sie sich vermutlich getäuscht. Ziemlich sicher haben Sie eine, Sie nutzen sie nur nicht aktiv. Passiv wird ihre elektronische Patientenakte (ePA)  nämlich bereits genutzt – ab 1. Oktober noch mehr. 

Wie ist der Stand fünf Monate nach der Einführung?

Seit Januar haben die Krankenkassen für alle gesetzlich Versicherten eine ePA angelegt. Die Kassen haben alle Versicherten angeschrieben und sie informiert – auch darüber, dass man widersprechen kann, wenn man keine E-Akte möchte. Im Durchschnitt aller Kassen haben nur gut fünf Prozent der Versicherten widersprochen. Alle anderen haben also eine ePA.

Ende April wurde die ePA bundesweit eingeführt. Die Nutzung war zunächst freiwillig. Das bedeutet: Praxen oder Krankenhäuser konnten Daten aufspielen, mussten aber nicht. Ab 1. Oktober sind „Leistungserbringer“ wie Ärzte, Therapeuten, Kliniken und Apotheken verpflichtet, die ePA zu bestücken, sofern die Patienten nicht widersprochen haben. 

Dass es die Akte gibt und dass Daten hineinkommen, ist also ein Selbstläufer. Anders verhält es sich, wenn man seine ePA aktiv nutzen möchte. Man kann zum Beispiel nachsehen, was drin ist, selbst Dokumente hochladen oder konfigurieren, wer was sehen darf. Diese Möglichkeit nutzen bisher nur sehr wenige Versicherte. Bei der Barmer beispielsweise sind es rund 300.000 von 7,8 Millionen elektronischen Patientenakten.

Ärzte sind bisher wenig begeistert

In Hessens größtem Krankenhaus, dem Frankfurter Universitätsklinikum, spielt die ePA auch fünf Monate nach ihrer Einführung kaum eine Rolle. „Das Produkt erfreut sich keiner großen Nachfrage“, sagte der Ärztliche Direktor Jürgen Graf der Deutschen Presse-Agentur. Die Patienten sähen meist keinen Nutzen darin – für Ärzte bringe sie kaum einen Mehrwert. 

„So lange sich der Behandler nicht sicher sein kann, dass alles über den Patienten medizinisch Bekannte auch enthalten ist, bringt sie wenig“, sagt Graf. Die Entscheidung, was in der Akte gespeichert wird und was nicht, liegt beim Patienten. Daher müssen Ärzte wie zuvor alle wesentlichen Aspekte einzeln erfragen und dokumentieren – Arztbriefe werden weiter per Post verschickt. 

Eine digitale Dokumentation aller Patientendaten werde dringend gebraucht, findet Graf. Aber aktuell werde die ePA ihrem Anspruch noch nicht gerecht, das sei „bedauerlich und enttäuschend“. Die Kassenärztliche Vereinigung (KV) formuliert es noch deutlicher: „Die ePA in der eingeführten Form ist bestenfalls nutzlos“, schimpft der Vorstandsvorsitzende der KV Hessen, Frank Dastych. Das Ganze sei „ein Trauerspiel“.

Krankenkassen erwarten einen Schub

Die Krankenkassen sehen die ePA positiver. „Ja, bei der Nutzung gibt es noch Luft nach oben“, sagte Martin Till, der Chef der Barmer Hessen, der Deutsche Presse-Agentur, „aber wir sind auf dem richtigen Weg und wir erwarten definitiv einen Schub“. 

Projektleiterin Berengere Codjo erklärt, worauf sich diese Hoffnung gründet: Der Zugang zur ePA ist einfacher geworden. Bisher musste man zum Bürgeramt, um sich die PIN für den elektronischen Personalausweis zu besorgen. Mit dem konnte man dann bei der Krankenkasse eine PIN für die Gesundheitskarte bestellen. Und über die kam man dann an die ePA ran. 

Seit 1.8. ist das sogenannte Videoident-Verfahren erlaubt: Man hält Ausweis, Gesundheitskarte und Gesicht in die Kamera. Für ältere oder digital unerfahrene Menschen ist das aber immer noch eine recht hohe Hürde. Daher gibt auch Projektleiterin Codjo zu: „Wenn wir wollen, dass die ePA zum Alltag gehört, müssen wir einfachere Wege finden.“ 

Und was bringt das alles?

Sanktionen, wenn Ärzte ab 1. Oktober die ePA nicht wie vorgesehen befüllen, gibt es keine. „Ob die ePA sich durchsetzt, wird vor allem daran liegen, ob Ärzte und Versicherte die Vorteile sehen“, sagt Barmer-Landeschef Till. 

„Erlebbar“ für Patienten wird die ePA zum Beispiel durch den Medikamentenplan. Jede Verordnung, die als E-Rezept auf der Gesundheitskarte gespeichert wird, fließt in die Akte ein. Damit können alle sehen, was jemand einnimmt und sicherstellen, dass es keine unerwünschten Wechselwirkungen gibt. 

Die AOK Hessen nennt ein anderes Beispiel: den digitalen Impfpass über die ePA. Auch für Ärzte wird die ePA mit der Zeit immer wertvoller werden, glauben die Verantwortlichen bei der Barmer. Je mehr sie hochladen, desto größer sei der Nutzen für die Kollegen. Für mehr Akzeptanz in der Bevölkerung soll ab Oktober neue Info-Kampagne sorgen.