Fast acht Millionen Wahlberechtigte in NRW haben bei der jüngsten Kommunalwahl Zeichen gesetzt. Was sich aus ihrem Votum lesen lässt, wird nicht nur in NRW aufmerksam analysiert.

Die Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen haben bei den Parteien ganz unterschiedliche Reaktionen hinterlassen: Aufatmen und Kater-Stimmung, Schock und Nachdenklichkeit – und noch viele unentschiedene Ergebnisse in heiß umkämpften Städten, Kreisen und Gemeinden. Im Folgenden acht Ableitungen aus den Wahlentscheidungen. 

Die Westwanderung der AfD schreitet voran

Auch im tiefen Westen verankert sich die AfD zunehmend in der Wählerschaft. In einem Bundesland, in dem die Rechtspopulisten in den vergangenen Jahren später und in bescheideneren Schritten in die Parlamente eingezogen sind als in mehreren anderen westlichen Bundesländern, hat die AfD hier nun in kurzer Zeit erneut ein gut zweistelliges Ergebnis geholt: nach den 16,8 Prozent bei der Bundestagswahl in NRW nun 14,5 Prozent. 

Die NRW-Wahl ist ein Warnschuss für die etablierten Parteien

CDU und SPD können zwar aufatmen, weil sie entgegen schlimmerer Befürchtungen nur relativ leichte Verluste im Vergleich zur Kommunalwahl 2020 hinnehmen mussten. Zahlreiche Spitzenpolitiker aus Bund und Land äußerten sich dennoch beunruhigt über das starke Abschneiden der AfD und kündigten an, Konsequenzen zu ziehen. In der Analyse zeigten CDU, SPD und Grüne eine grundsätzliche Übereinstimmung: Die Probleme der Bürger müssten erkennbar gelöst werden. Dazu zählen Armut, Defizite in Kitas und Schulen, Mangel an bezahlbarem Wohnraum, der vielerorts schlechte Zustand der Infrastruktur sowie Probleme mit Armutsmigration und misslungener Integration. 

Totgesagte leben länger

In einem Bundesland, das über Jahrzehnte als „Stammland der SPD“ bezeichnet wurde, sind die jetzt erzielten 22,1 Prozent ein neuer historischer Tiefstand in der NRW-Kommunalwahl-Statistik der Sozialdemokraten. Viele hatten – nicht zuletzt mit Blick auf die Umfrage-Ergebnisse im Bund – Schlimmeres befürchtet. Die symbolisch wichtige 20-Prozent-Schmerzgrenze hat die SPD in NRW aber nicht unterschritten. Oder, wie Parteichefin Bärbel Bas es ausdrückte: Die Ergebnisse machten sie zwar nicht glücklich, das prognostizierte SPD-Desaster sei aber ausgeblieben. Tatsächlich gibt es Lichtblicke für die SPD: In nur zwei von 23 Großstädten in NRW schaffte der Oberbürgermeister-Kandidat auf Anhieb den Durchmarsch: In Hamm und in Herne bleiben mit Marc Herter und Frank Dudda Sozialdemokraten im Amt. 

Die Mehrheit nimmt ihr Wahlrecht wahr

Die Gruppe der Nichtwähler ist nicht „die größte Partei“ geworden: Mit einer Wahlbeteiligung von 56,8 Prozent wurde immerhin der zweitbeste Wert in 30 Jahren erreicht (1994: 81,7 Prozent).

Demokratische Mehrheiten sind schwerer zu erreichen

Gleichzeitig zeigt sich, dass es für die meisten Parteien immer schwieriger wird, noch auf Stammwähler zu bauen. Absolute Mehrheiten sind zur absoluten Ausnahme geworden. In 21 von 23 Großstädten ist deswegen am 28. September eine Stichwahl um den Oberbürgermeister-Posten erforderlich. In 15 von 31 Kreisen gilt das auch für das Landratsamt sowie in den Rathäusern zahlreicher Städte. In mehreren Kommunen bewarben sich nicht weniger als ein rundes Dutzend Kandidaten um die Spitzenposten. Viele befürchten, dass die Zersplitterung der Parteienlandschaft durch das größere Gewicht der AfD eine Chaotisierung der ehrenamtlichen Ratsarbeit befördert. 

Platzhirsche müssen über ihren Schatten springen

Parteien, die bis jetzt als Konkurrenten gegeneinander antraten, müssen künftig stärker kooperieren, wenn sie der erstarkenden AfD Paroli bieten wollen. NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) und SPD-Landesparteichefin Sarah Philipp kündigten bereits am Wahlabend an, bei den Stichwahlen zusammenzuhalten, wenn es darum gehe, einen AfD-Bewerber auf einem Spitzenposten zu verhindern. AfD-Kandidaten treten in drei Großstädten an: in Duisburg und Gelsenkirchen gegen SPD-Politiker und in Hagen gegen einen Christdemokraten. 

Der Zeitgeist arbeitet gegen die Grünen

Der Höhenflug der Grünen ist eindeutig beendet – ausgerechnet in einem Land, in dem sie mit der CDU von Ministerpräsident Hendrik Wüst eine Regierungskoalition bilden. Nach ersten Schockmomenten, die die Grünen am frühen Wahlabend nur bei 11,5 Prozent gesehen hatten, fasste sich die Parteispitze danach wieder und freut sich nun offiziell über „unser zweitbestes Ergebnis bei einer Kommunalwahl in NRW“. Mit 13,5 Prozent bleiben sie aber deutlich hinter den 20 Prozent bei der vorherigen Kommunalwahl. Bundesparteichef Felix Banaszak führte das auf den veränderten Zeitgeist zurück: „Ökologische, progressive Politik hat es gerade schwer.“

Schwarz-Grün hätte mit solchen Zahlen keine Mehrheit in NRW

Die nächste NRW-Landtagswahl im Mai 2027 ist zwar noch recht weit weg. Wüst musste sich am Wahlabend dennoch häufig die Feststellung gefallen lassen, dass seine schwarz-grüne Koalition – die erste überhaupt in NRW – auf Basis solcher Zahlen ein Auslaufmodell wäre. Der Regierungschef wies das als nicht vergleichbar weit von sich und lobte stattdessen die Zusammenarbeit mit dem kleinen Partner. Dass die CDU in NRW mit ihren 33,3 Prozent bei der Kommunalwahl deutlich über dem Bundestrend seiner Partei liegt – der pendelte zuletzt zwischen 25 und 28 Prozent – wird bei der nächsten Wahl ohne starken Koalitionspartner allerdings nicht reichen.