Vor der Bürgerschaftswahl warnt der amtierende Bürgermeister und SPD-Spitzenkandidat vor einem Zerbröseln der politischen Mitte. Die CDU hofft währenddessen im Wahlkampf-Endspurt auf Zuwächse.

Angesichts eines „desaströsen Wahlergebnisses“ seiner SPD bei der Bundestagswahl hat Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher vor instabilen Verhältnissen nach der anstehenden Bürgerschaftswahl gewarnt. „Wir haben am Wahlsonntag gesehen, dass in diesem Land die politische Mitte zerbröselt“, sagte er. Hamburg sei bisher ein gutes Beispiel, dass es auch anders gehe. „Aber das ist kein Selbstgänger“, sagte Tschentscher fünf Tage vor der Wahl.

Tschentscher formulierte als Ziel die Fortsetzung der Koalition mit den Grünen „mit einem möglichst starken Anteil der SPD„. Die Erfahrung habe gezeigt, dass die SPD die Grünen „gegebenenfalls auch mal unterhaken“ müsse, um auf Kurs zu bleiben. Als stärkerer Partner könne man nach der Wahl außerdem weitere Senatsposten beanspruchen. „Das hört sich jetzt für die Grünen offensiv an. Das ist auch so gemeint“, sagte Tschentscher.

Durch das Erstarken der Linken könnten aber insbesondere die Grünen so geschwächt werden, dass es für ein Zweierbündnis nicht mehr reiche. Eine Zusammenarbeit mit den Linken zieht Tschentscher nicht in Betracht. „Die Linke hat sich in Hamburg klar, wie in kaum einem anderen Bundesland, dafür ausgesprochen, nicht zu regieren“, sagte er.

Fegebank will über Inhalte reden – nicht über Posten 

Die Grünen-Spitzenkandidatin und Zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank sagte, es sei irritierend, „dass die SPD schon vor der Wahl sehr viel über Posten spricht“. Das sei nicht Stil der Grünen. „Wir sprechen über Inhalte. Wir sprechen darüber, wie wir Hamburg bezahlbarer machen, wie wir die Mobilitätswende weiter gut hinbekommen und wie wir mehr Klimaschutz in Hamburg packen.“ 

Auch die Linken zeigten sich von der Aussage des Bürgermeisters überrascht. Tschentscher verdrehe „vor lauter Angstschweiß“ die Fakten, sagte die Spitzenkandidatin Heike Sudmann. Wenn es in der neuen Bürgerschaft eine Mehrheit für eine wirklich soziale Politik gebe, „können wir gern reden“. Bisher sei das aber nicht in Sicht.

Tschentscher hält CDU nicht für regierungsfähig

Eine Koalition mit der CDU schloss Tschentscher zwar nicht aus, sprach dieser aber die Regierungsfähigkeit ab. Die Partei habe eine so „hamburgfeindliche und zukunftsfeindliche Blockadehaltung“, dass er es sich nicht vorstellen könne, „mit der CDU auf einen Fortschrittskurs zu kommen“, sagte er. Etwa bei der Wohnungs- und Verkehrspolitik gebe es große Differenzen. Tschentscher warf der CDU vor, immer nur Forderungen zu stellen, ohne aber konkrete Maßnahmen oder Konzepte zu haben.

Der Bürgermeister warnte auch vor einer Neuauflage einer schwarz-grünen Koalition, wie sie von 2001 bis 2010 in Hamburg regierte. Dies würde die Stadt zurück ins Mittelmaß führen. Gegen diese Konstellation habe er eine „persönliche Aversion“, sagte Tschentscher. „Das sind ja Dinge, die ich in der Opposition mit erlitten habe.“

Thering wirft Tschentscher Angstmacherei vor

Zugleich zweifelte er nicht daran, dass die Spitzenkandidaten von CDU und Grünen, Dennis Thering und Fegebank, nach dem Bürgermeisteramt greifen würden, sollte sich für sie aufgrund des Wahlergebnisses die Chance dafür ergeben. Zwar sagten beide, dass ihnen für Schwarz-Grün die Fantasie fehle, erläuterte Tschentscher. Dies könne sich „mit einem Wahltermin und einem Bürgermeisteramt in Aussicht“ aber schnell ändern. „Das kann Fantasie beflügeln.“

Thering wies die Kritik des Bürgermeisters zurück. Er könne verstehen, dass Tschentscher aufgrund des Ergebnisses der SPD bei der Bundestagswahl nervös sei. „Diese Niederlage gibt der SPD aber keinen Grund, den Hamburgerinnen und Hamburgern jetzt wenige Tage vor der Wahl Angst zu machen“, sagte der CDU-Landes- und Fraktionsvorsitzende. Für eine Zusammenarbeit mit der SPD zeigte er sich offen. „Es wird die Möglichkeit für ein stabiles Zweierbündnis geben, jedoch muss das nicht zwingend mit den Grünen sein.“

CDU wirbt um Stimmen aus anderen politischen Lagern

Die CDU wolle dafür kämpfen, „dass es für Rot-Grün nicht reicht und wir dann direkt mit in den Hamburger Senat gehen“, sagte Thering bei einer Wahlkampfveranstaltung seiner Partei. Der CDU-Spitzenkandidat warb in seiner Rede auch um Stimmen von FDP- und AfD-Anhängern. „Das muss jetzt auch jeder verstehen: Dass es eben nichts bringt, die FDP zu wählen, die kommt sowieso nicht rein. Und dass es aber auch nichts bringt, die AfD zu wählen, weil mit denen sowieso keiner koaliert“, sagte Thering. Eine Umfrage von Infratest dimap im Auftrag der ARD sah die FDP in Hamburg zuletzt bei 3,0 Prozent.

Ex-Bürgermeister Ole von Beust gab Thering Rückendeckung. Er störe sich an der „unglaublichen Borniertheit und Arroganz“ der Hamburger SPD, sagte der frühere CDU-Politiker. Bei den Anhängern der Hamburger Grünen sehe er grundsätzlich Potenzial, Wähler für die CDU zu gewinnen. „Auch bei den Grünen gibt es ja durchaus viele, die sich als bürgerlich bezeichnen.“ 

Von Beust saß von 2001 bis 2010 im Chefsessel im Hamburger Rathaus. Von 2008 bis 2010 gab es unter seiner Führung Deutschlands erste schwarz-grüne Koalition auf Landesebene.

Fegebank warnt vor Koalition aus SPD und CDU 

Fegebank verwies auf Umfragen, die belegten, dass die Menschen in Hamburg eine Regierung aus SPD und Grünen wollten. „Und wer das will, muss Grün wählen – sonst wacht er womöglich in einer sogenannten GroKo auf“, warnte sie.

„Wir müssen darüber reden, wie wir mit Innovationen unsere Stadt fit für die Zukunft machen und wie wir eine Stadt bleiben, in der sich alle Menschen sicher und willkommen fühlen – egal an wen sie glauben, wen sie lieben oder woher sie kommen.“ Dazu brauche es die Grünen, „denn die Zukunftsthemen kommen bei Rot-Schwarz nicht vor – das ist ja jetzt auch im Bund zu beobachten“, sagte Fegebank.