Forschende haben in York den ersten archäologischen Beweis für einen Kampf zwischen Gladiator und Raubtier entdeckt. Der Fund gibt neue Einblicke in die Praxis römischer Tierhetzen.

Der Mann mit dem wissenschaftlichen Namen „6DT19“ trug ungewöhnliche Verletzungen davon: Seine Beckenknochen weisen eine Reihe von Läsionen auf, darunter Quetschungen, vor allem aber kreisrunde, mehrere eng beieinander liegende Einbuchtungen, bis zu 2,5 Zentimeter tief. Es sind Wunden, die bis zum Tod des Mannes vor 1800 Jahren im heutigen nordenglischen York nicht mehr verheilten, zeigt sein Skelett. Wahrscheinlich erlag 6DT19 den Verletzungen, so schwerwiegend waren diese.

Was nur hat den Mann so zugerichtet? Bislang stand fest: Pfeile hinterlassen andere Schäden an Knochen. Forschende um den Anthropologen Timothy Thompson von der Maynooth-Universität in Irland sind nun aber auf die Spur der Läsionen gekommen: Sie stammen von einer Großkatze, wahrscheinlich einem Löwen. 

Gladiatorenkampf: Männer kämpften gegen Löwen, Tiger und Elefanten

Dazu passt: 6DT19 wurde im 3. Jahrhundert n. Chr. in einem Gladiatorengrab bestattet. Damit liefert das Skelett den ersten archäologischen, physischen Beweis für Gladiatorenkämpfe zwischen Mensch und Tier überhaupt, wie die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in einer neuen Studie im Fachmagazin „Plos One“ beschreiben. Bislang waren solche Duelle lediglich über antike Erzählungen und Kunstwerke wie Mosaiken und Reliefs überliefert.

Auf dem Gebiet des heutigen York befand sich einst das römische Eboracum, ursprünglich als Militärlager gegründet. Die Siedlung stieg schließlich zur Hauptstadt der Provinz Britannia secunda auf; mehrere Kaiser residierten hier zumindest zeitweilig, genauso wie hochrangige Generäle. 

In einer solchen Stadt hatten die Verwalter auch für Unterhaltung zu sorgen: Ein Amphitheater für Gladiatorenkämpfe konnten Archäologen bislang nicht nachweisen, dafür aber bereits im Jahr 2004 einen Friedhof, in dem 82 junge Männer bestattet worden waren. Da sie aus unterschiedlichsten Teilen des römischen Imperiums stammten und die Knochen Anzeichen von verheilten Verletzungen ähnlich wie die des Gladiatorenfriedhofs im kleinasiatischen Ephesos aufweisen, interpretieren Forschende die menschlichen Überreste ebenfalls als Grabstätte solcher Kämpfer.

Für die Untersuchung von 6DT19 verglichen die Forschenden die kreisrunden Verletzungen an dessen Beckenknochen mit zoologischen Bissspuren verschiedener Tierarten – und stellten große Ähnlichkeiten mit einem Löwenbiss fest.

Die Römer transportierten wilde Tiere quer durch ihr Imperium

Im Unterhaltungsprogramm der Römer etablierten sich neben den herkömmlichen Gladiatorenkämpfen Mann gegen Mann auch Tierhetzen, bei denen sogenannte bestiarii oder venatores gegen gefährliche Tiere wie Bären, Tiger, Elefanten, Nashörner, Krokodile oder auch Löwen antraten. Bei Bedarf wurden die Tiere mit Feuer und Lärm wild gemacht. Häufig handelte es sich bei den Kämpfern um verurteilte Verbrecher. Auch kannten die Römer die Hinrichtungsart damnatio ad bestias („Verurteilung zu den wilden Tieren“), bei der Verurteilte Raubtieren zum Fraß vorgeworfen wurden. Anders als ausgebildete bestiarii verfügten diese Personen weder über eine Ausbildung noch über Waffen, um sich gegen die Tiere zu wehren.

Einer der Knochen des Skeletts „6DT19“ aus dem Gladiatorenfriedhof bei York: Die kreisrunde Vertiefung soll von einem Löwenbiss stammen
© Anwen Caffell / Maynooth University

Ob es sich bei 6DT19 um einen verurteilten Verbrecher, einen Kriegsgefangenen oder um einen freiwilligen Kämpfer handelte, ist nicht klar. Fest steht: Der Mann, zwischen 26 und 35 Jahren alt, wurde mit einem gezielten Schnitt zwischen dem zweiten und dritten Halswirbel enthauptet und erst anschließend bestattet. Möglicherweise, so vermuten die Forschenden, wollten die Römer den Mann von seinen Todesqualen erlösen. Die Enthauptung könnte aber auch ein Bestattungsritual gewesen sein – sie wurde gerade im römischen Britannien an auffällig vielen Personen vorgenommen. 

In jedem Fall zeigt die Studie, dass die Römer keine Mühe scheuten, aufwendige Unterhaltungsprogramme zu organisieren: Nicht nur Gladiatoren tourten durch das gesamte Imperium von Arena zu Arena – auch exotische Tiere wie Löwen wurden Tausende Kilometer weit transportiert, bis nach Britannien, weit weg von Rom.