Mitten im von US-Präsident Donald Trump ausgelösten Handelskonflikt senkt die Europäische Zentralbank (EZB) ihre Leitzinsen weiter. Sie gehen um 0,25 Prozentpunkte zurück, der zentrale Leitzins, der auch für Sparerinnen und Sparer wichtige Einlagenzins, liegt damit zukünftig bei 2,25 Prozent. EZB-Chefin Christine Lagarde sprach am Donnerstag von „extremen Unsicherheiten“ für das Wirtschaftswachstum im Euroraum.
Die nun beschlossene Senkung ist bereits die sechste in Folge und die siebte seit Juni 2024. Der Hauptrefinanzierungssatz, zu dem sich Geschäftsbanken Geld von der EZB leihen können, liegt zukünftig bei 2,40 Prozent; der Zins zur kurzfristigen Beschaffung von Geld, der Spitzenrefinanzierungssatz, bei 2,65 Prozent.
Die EZB reagierte mit der erneuten Senkung auch auf die schwer vorhersehbare Zollpolitik der USA. Das Ausmaß der Handelsbeschränkungen sei noch nicht vollständig absehbar, sagte Lagarde.
Die Wirtschaft des Euroraums habe zwar eine „gewisse Widerstandsfähigkeit gegenüber globalen Schocks aufgebaut, die Wachstumsaussichten haben sich jedoch aufgrund der zunehmenden Handelsspannungen eingetrübt“, heißt es in der Einschätzung der Notenbanker. Neue Unsicherheiten könnten das Vertrauen der privaten Haushalte und der Unternehmen „verringern“ und die Wirtschaftsaussichten zusätzlich belasten, sagte Lagarde weiter.
Durch die Entscheidung der Notenbankerinnen und Notenbanker dürften sich Kredite für Unternehmen und Privatleute aber verbilligen. Das könnte die Wirtschaft ein wenig ankurbeln.
Bei der Inflation sieht Lagarde die Eurozone auf einem guten Weg. Die Teuerung im Euroraum schwächte sich im März auf 2,2 Prozent ab. Das für die EZB in Sachen Preisstabilität wichtige Ziel von zwei Prozent ist damit in greifbarer Nähe. Allerdings sei derzeit noch nicht absehbar, wie sich die Zölle auf die Inflation in Europa auswirken, fuhr die EZB-Chefin fort.
Die geldpolitische Expertin des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung, Silke Tober, nannte den Schritt der EZB richtig. „Durch die drastische und erratische Zollpolitik der US-Regierung ist die Gefahr einer globalen Rezession deutlich gestiegen“, erklärte sie. Darauf habe die Notenbank reagieren müssen. Sie sollte „perspektivisch weitere Lockerungen der geldpolitischen Zügel ankündigen“, riet Tober.
Die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) sprach von einem „wichtigen Signal“ für die deutsche Wirtschaft. Verunsicherungen könnten Unternehmen auch hierzulande besser begegnen, „wenn sie günstiger an finanzielle Mittel kommen“, erklärte DIHK-Chefanalyst Volker Treier. So könnten die deutschen Firmen leichter in ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit investieren.
Der Bundesverband deutscher Banken sprach sich dagegen für ein vorsichtigeres Vorgehen der EZB in den kommenden Wochen aus. Die Geldpolitik dürfe nicht zu stark auf kurzfristige Erwartungen reagieren. „Ohnehin sind die mittelfristigen Auswirkungen der Handelskonflikte auf die Inflation im Euroraum derzeit noch völlig unklar“, erklärte der Hauptgeschäftsführer des Bankenverbands, Heiner Herkenhoff. Die Senkung beim Treffen am Donnerstag hielt indes auch er „für vertretbar“.
Der EZB-Rat stimmte laut Lagarde einstimmig für den Schritt nach unten. Vor einigen Wochen hätten sich einige Ratsmitglieder aber womöglich auch noch für eine Zinspause ausgesprochen. Zum künftigen Kurs der Notenbank machte Lagarde am Donnerstag keine klaren Aussagen. Es gebe „keine bessere Zeit“, sich auf die Daten zu verlassen, sagte sie. Die EZB müsse „agil“ und „bereit“ bleiben, um auf neue Entwicklungen zu reagieren. „Ich weiß nicht, ob wir den Höhepunkt der Unsicherheit schon erreicht haben“, sagte Lagarde.
Die EZB hatte im vergangenen Juni erstmals die Leitzinsen gesenkt. Nach einer Zinspause im Juli folgten dann im September, Oktober, Dezember und auch bei den ersten Sitzungen in diesem Jahr die nächsten Schritte nach unten. Bis Oktober 2023 hatte die EZB zuvor die Leitzinsen als Reaktion auf die hohe Inflation schrittweise angehoben.