Friedrich Merz ist verstummt. Das ist vor allem außenpolitisch fragwürdig. Unterwirft der Bald-Kanzler demokratische Werte innenpolitischem Kalkül?
Friedrich Merz ist ein begabter Redner. Was man bisher nicht wusste: Er kann auch ein ausgeprägter Schweiger sein. Tagelang hat man von dem Mann, der endlich Kanzler werden möchte, nichts gehört. Es ist, als habe er eine Rampe bauen wollen für seinen großen Auftritt nach Abschluss der Koalitionsverhandlungen.
Man kann das so machen. Es mag sogar klug gewesen sein, die Verhandlungen von Union und SPD hermetisch abzudichten. Da muss das Spitzenpersonal auch mal mit gutem Beispiel vorangehen. Zwischenstände auszuplaudern verursacht meistens Missverständnisse und falsche Erwartungen. Schließlich gilt gerade in Koalitionsverhandlungen: Nichts ist fertig verhandelt, bevor nicht alles verhandelt ist.
Merz schwieg zuletzt also wie ein Trappisten-Mönch zur Fastenzeit. Doch was innenpolitisch verständlich erscheinen mochte, wirkte außenpolitisch irritierend. Zumal Merz doch ganz anders angefangen hatte. Gleich nach seinem Wahlsieg flog er zu Emmanuel Macron nach Paris und später zum Treffen der Europäischen Konservativen in Brüssel. Nach der Verabschiedung des Milliardenpakets für Militär und Infrastruktur tönte der Kanzler in spe: „Deutschland ist zurück.“
Friedrich Merz redet, wenn es ihm nützt
Ja, wo denn, bitte? Plötzlich kam nichts mehr von Friedrich Merz. Nichts zur Türkei, nichts zu Nahost, nichts zu Zöllen. Koalitionsverhandlungen können dieses außenpolitische Total-Verstummen nicht erklären. Schließlich hängt ein Kommentar zur Verhaftung des wichtigsten türkischen Oppositionspolitikers nicht davon ab, ob in Deutschland die Mütterrente ausgeweitet wird, sondern von der Bedeutung, die man demokratischen Werten beimisst.
Mich beschleicht allmählich der Verdacht, dass Friedrich Merz seine außenpolitischen Wortmeldungen innenpolitischer Opportunität unterwirft. Er redet, wenn es ihm nützt, und er schweigt, wenn es ihm schaden könnte. Beispiele gefällig?
Als US-Vizepräsident J. D. Vance in München Europa kritisierte, nannte Merz das „fast schon übergriffig“. Als Donald Trump Wolodymyr Selenskyj im Oval Office abkanzelte, sagte der CDU-Vorsitzende, die Eskalation des Gesprächs sei offensichtlich herbeigeführt worden. Merz forderte sogar mehr Unabhängigkeit von den USA.
Sein Dasein als politische Plaudertasche fiel allerdings genau in jene Zeit, in der Merz seine finanzpolitische Kehrtwende hinlegte. Der erstaunliche Schwenk vom Sparefroh zum Schuldenmacher bedurfte der Rechtfertigung durch eine dramatische Kulisse, um die Wählertäuschung zu verbrämen – weil der Bau neuer Schulen und die Sanierung von Brücken, wenn überhaupt, nur um viele Ecken herum mit Verteidigungsfähigkeit zu tun hat.
Ganz anders das Verhalten des CDU-Chefs nach der offenkundig politisch motivierten Verhaftung von Ekrem İmamoğlu, dem Oberbürgermeister von Istanbul und größten Rivalen von Präsident Recep Tayyip Erdoğan. Kein Wort von Merz. Könnte das damit zu tun haben, dass er die Türkei als wichtigen Partner in der Migrationspolitik nicht vergrätzen will? Könnte es sein, dass Merz die Erwartungen seiner Wähler, Deutschland für Flüchtlinge immer schwerer erreichbar zu machen, auf Kosten der Solidarität mit der türkischen Demokratie verwirklichen will?
Das einzige außenpolitische Thema, das die CDU von Friedrich Merz derzeit erkennbar beschäftigt, ist die Frage, wer neuer Außenminister werden könnte, wenn das Ressort an die CDU fällt. Das ist zur Orientierung ein bisschen wenig.