Zwei Riesen stürzen: Wie 56.000 Tonnen Beton in Sekunden fallen – und warum der Abriss nicht nur Schaulustige anlockt, sondern auch Tiere aufschreckt.
Sie waren jahrzehntelang eines der bekanntesten Wahrzeichen im schwäbischen Landkreis Günzburg. Und sie zeigten weithin, dass die kleine Gemeinde Gundremmingen einer der größten und wichtigsten Atomstandorte Deutschlands war. Nun sollen die beiden 160 Meter großen Kühltürme weichen.
Seit Wochen arbeiten Spezialisten daran, dass am Samstag (25. Oktober) exakt um 12.00 Uhr die beiden monumentalen Bauwerke durch Sprengungen binnen Sekunden dem Erdboden gleich gemacht werden. Zahlreiche Schaulustige aus Bayern und dem nahen Baden-Württemberg werden zu dem spektakulären Abriss erwartet. Sie werden vermutlich früh anreisen müssen. Die wichtigsten Fragen zu der Aktion im Überblick:
Wofür wurden die Türme früher benötigt?
Kernkraftwerke nutzen angrenzende Flüsse, im Fall von Gundremmingen die Donau, um Kühlwasser zu entnehmen. Später wird das Wasser zurückgeleitet, dabei darf es aber nicht zu warm sein. In den Türmen wurde daher das im Kraftwerk bei der Stromproduktion erhitzte Wasser wieder heruntergekühlt. Dafür wurde das Wasser quasi in Regen verwandelt und mit Frischluft vermischt. Beim Abkühlen entstanden große Menge Wasserdampf, der oben aus den Türmen austrat. Die so produzierten Wolken waren weithin sichtbar.
Der Betreiber RWE fasst die Funktion der Kühltürme so zusammen: „Sie dienten zu Betriebszeiten des ehemaligen Kernkraftwerks dazu, dass die Donau nicht zu stark mit Abwärme belastet wurde.“
Welche Dimensionen haben die Kühltürme?
Nicht nur die Höhe ist imposant. Die Kraftwerkstürme sind mit 160 Metern ähnlich hoch wie das Ulmer Münster, das bislang den höchsten Kirchturm der Welt hat. Auch der Durchmesser der Kühltürme ist enorm: an der breitesten Stelle beträgt er laut RWE 139 Meter, an der schmalsten – in 120 Metern Höhe – immer noch 76 Meter. Der Länge nach könnte man in jedem der zwei Türme einen Fußballplatz unterbringen.
Bei der Zerstörung der zwischen 1977 und 1980 gebauten Türme werden enorme Schuttmengen anfallen. Nach Angaben des Unternehmens werden etwa 56.000 Tonnen Stahlbeton zerstört. Es handele sich um hochwertigen Beton, betont der Energiekonzern. „Er soll im Anschluss zu Recycling-Schotter aufbereitet werden, der ein am Markt gefragter Baustoff ist.“
Welche Bedeutung hatte das Atomkraftwerk?
Gundremmingen hat in Deutschland die Geschichte der zivilen Atomnutzung maßgeblich mitbestimmt. Denn mit Block A begann dort im Jahr 1966 die industrielle Produktion von Atomenergie in der Bundesrepublik. Doch es kam zu schweren Störfällen. Im Jahr 1975 starben sogar zwei Schlosser bei einem Unfall, es waren die ersten Todesfälle in einem deutschen Kernkraftwerk. Eine Havarie der Anlage sorgte 1977 dann für die Stilllegung dieses Reaktors.
Zwischen 1976 und 1984 wurden die Blöcke B und C errichtet, zu denen die beiden Kühltürme gehörten. Im Rahmen des deutschen Atomausstiegs wurde Block B Ende 2017 endgültig abgeschaltet, Block C folgte vier Jahre später.
Wie geht es mit dem Standort weiter?
Der Rückbau der beiden Kernkraftwerksblöcke läuft seit Jahren. Das Milliardenprojekt wird aber auch noch viele weitere Jahre dauern. Die Atomwirtschaft hat bei den stillgelegten Atommeilern mehrfach das Jahr 2040 als Zieldatum für den Abschluss der Rückbaumaßnahmen genannt.
RWE hat daher in Gundremmingen immer noch mehr als 400 Mitarbeiter. Der Konzern beschäftigt sich aber längst auch damit, wie der Energiestandort künftig genutzt werden soll. Schon vier Tage nach der Sprengung soll in Gundremmingen der Spatenstich für einen Batteriespeicher gesetzt werden – laut RWE der aktuell größte Speicher in Deutschland. Solche Anlagen werden benötigt, um beispielsweise tagsüber bei Sonnenschein gewonnenen Solarstrom vorübergehend zu speichern und dann nachts abgeben zu können.
Auf lange Sicht wird in Gundremmingen auch das Zwischenlager für die alten Brennelemente der Reaktoren verbleiben. Dies wird erst geräumt werden können, wenn es in Deutschland ein Endlager für den strahlenden Müll der früheren Atomkraftwerke gibt.
Wie laufen die Sprengungen ab?
Die Thüringer Sprenggesellschaft, die unter anderem bereits die Kühltürme des früheren Kernkraftwerks Grafenrheinfeld in Unterfranken abgerissen hat, bereitet seit Wochen die Aktion vor. Mehr als 1.000 Löcher für den Sprengstoff müssen in die zwei Türme gebohrt werden.
Wenn es dann so weit ist, sollen sich die beiden Türme nach den Detonationen nur leicht zur Seite neigen und dann auf relativ kleiner Fläche zusammensacken. „Der Turm kippt an und kollabiert in sich“, erklärte Sprengingenieurin Ulrike Matthes. Begleitet werden die Hauptsprengungen durch eine Reihe weiterer Sprengaktionen.
Vorher soll es eine Detonation geben, damit Vögel und andere Wildtiere aufgeschreckt werden und den Gefahrenbereich verlassen können. Begleitend zu den Hauptsprengungen werden zudem Wasserpools gesprengt, die rund um die Bauwerke aufgestellt werden. Das Wasser wird dadurch Dutzende Meter in die Luft geschleudert, es soll den beim Zusammenfallen der Türme entstehenden Staub binden.
Wie werden die Sprengungen abgesichert?
Um das Kraftwerk hat das Landratsamt in Günzburg eine große Sperrzone festgelegt. Eine Staatsstraße ist in dieser Zone, Wohnhäuser allerdings nicht. Bereits am Freitagabend um 21.00 Uhr beginnt die Einrichtung dieses Absperrbereichs. Wer sich danach dort aufhält, der riskiere ein Bußgeld bis zu 3.000 Euro, warnt die Behörde.
Wie viele Schaulustige werden erwartet?
Experten gehen von zahlreichen Zuschauerinnen und Zuschauern aus, die sich möglicherweise schon einige Stunden vor der Sprengung gute Plätze in der Umgebung suchen. Wie viele Schaulustige dies sein werden, kann das Landratsamt allerdings nicht einschätzen. „Es gibt keine ausgewiesenen Besucherareale“, betont die Kreisbehörde. Es sei dennoch mit einer sehr hohen Verkehrsbelastung zu rechnen. Interessierte sollten das Gebiet um die früheren Atommeiler weiträumig umfahren und sich weiter entfernte Aussichtspunkte suchen, wird empfohlen.