Die Koalition und der Bundestag diskutieren den Wehrdienst. Er soll helfen, Deutschland verteidigungsfähig zu machen. Doch ein Nebeneffekt kommt in der Debatte viel zu kurz.

Ich erinnere mich noch an die Zeit nach meinem Abitur. Nach drei Monaten hatte ich keine Lust mehr auf meinen täglichen Triathlon: ausschlafen, rumhängen, feiern. Ich fing an, mich auf das zu freuen, was mir bevorstand: Zivildienst. Das hatte vielleicht auch damit zu tun, dass ich noch nicht recht wusste, was ich danach machen wollte. Die 13 Monate Bedenkzeit waren mir damals – Mitte der 1990er-Jahre – hochwillkommen.

Erst im Nachhinein habe ich verstanden, was mir die Dienstzeit noch gebracht hat – abgesehen von den Herausforderungen der Betreuung von sechs Menschen mit Behinderung in einer Wohngruppe: Einblicke in einen fremden Alltag, Verständnis für andere, mehr Wertschätzung für das eigene Leben. Diese Dienstzeit hat meiner Persönlichkeitsentwicklung einen Schub gegeben – auch wenn das letztendlich andere besser beurteilen können als ich selbst.

Wehrdienst bedeutet, Neues kennenzulernen

Zwar geht es bei der Wehrdienst-Debatte in Deutschland vorrangig um die Verteidigungsfähigkeit angesichts einer massiven „Verschärfung der Bedrohungslage in Europa infolge des völkerrechtswidrigen russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine“. Den Wehrdienst bei der Bundeswehr stelle ich mir in einer Hinsicht aber ähnlich vor wie meine Erfahrungen aus dem Zivildienst: Man trifft auf Menschen, die man auf anderem Weg wahrscheinlich nicht kennengelernt hätte. Man durchlebt gemeinsame Erfahrungen und lernt, Menschen mit anderen Hintergründen zu verstehen – und findet darüber eine gemeinsame Basis, vielleicht sogar neue Freundschaften.

Das ist etwas, was unserer Gesellschaft in meiner Wahrnehmung gerade verloren geht: Verständnis für andere. Niemand ist gezwungen, sich aus seiner Blase herauszubegeben – nicht im echten Leben und online erst recht nicht. Wie weit eine Gesellschaft auseinanderdriften kann, sehen wir aktuell in den USA. Dort verorten sich laut einer Statista-Umfrage vom Juli 2025 elf Prozent der Befragten ganz links und 19 Prozent der Befragten ganz rechts im politischen Spektrum (in Deutschland jeweils sechs Prozent).

Etwa 71 Prozent der befragten US-Amerikaner stimmten in einer Umfrage im vergangenen Monat der Aussage zu, dass „die amerikanische Gesellschaft zerbrochen ist“, während ein ähnlich hoher Anteil – 66 Prozent – angab, besorgt über die Aussicht auf Gewalt gegen Menschen in ihrer Gemeinde aufgrund ihrer politischen Überzeugungen zu sein.

So weit sind wir in Deutschland zum Glück noch nicht. Aber die Tendenz, dass wir immer dünnhäutiger auf Kritik oder andere Standpunkte reagieren, sehe ich in der deutschen Gesellschaft auch. Ich glaube, wer als junger Mensch den Blick über den Tellerrand nicht lernt, wird sich umso stärker in seiner eigenen Welt einrichten. Und die Algorithmen sozialer Medien verstärken den Blasen-Effekt bekanntermaßen noch.

Verlassen der eigenen Blase

Natürlich ist weder ein Wehrdienst noch jede andere Form einer Dienstpflicht ein Allheilmittel gegen gesellschaftliches Auseinanderdriften. Ich glaube aber, dass gerade junge Menschen davon profitieren, andere Lebensweisen und -einstellungen kennenzulernen – und zu akzeptieren. Selbst wenn es politisch erzwungen wird, das eigene Lebensumfeld zu verlassen, könnte das den gesellschaftlichen Zusammenhalt wieder stärken. Ich jedenfalls habe im Zivildienst auch gelernt, die Bedürfnisse anderer Menschen in den Blick zu nehmen und zu respektieren.