Was bin ich für ein Vorbild, fragt sich unsere Autorin. Antwort: Eins, das Unwichtiges am Handy tut und Wichtiges im Leben unterlässt. Drei Schritte, wie sich das ändern lässt. 

Vor ein paar Tagen suchte ich spätabends mein Handy. Ich weiß, man soll um diese Zeit nicht mehr auf Screens schauen, sondern schlafen oder mit dem Bettnachbarn schlafen oder was auf Papier lesen. Ich wollte aber dringend das Handy, wo war es bloß? Dann sah ich im Kinderzimmer unter der Star-Wars-Bettwäsche etwas leuchten, es war kurz vor Mitternacht. Das Gerät steckte mit meinem Zwölfjährigen unter einer Decke, beide hatten einen Riesenspaß. Ich: Spinnst du jetzt total, wo hast du nur den Code her, wir sprechen uns morgen. Smartphone-Beschlagnahme. Schlaf jetzt!

Später dann, im Bett, packte mich etwas und schüttelte mich brutal durch – es war Handy-Reue. Mein Gefühl der Woche. Sie kennen das: Da will man kurz auf LinkedIn schauen, was die anderen Angeber so posten; mal schnell die Top-News lesen, oh, eine eilige Eilmeldung, klick-klick, dann zur Erbauung noch ein bisschen durch Instagram wischen – und schon sind Stunden verstrichen und die Momente vertan, wo man etwas Sinnvolles hätte tun können. Den rostenden Badewannenabfluss sauber machen, zum Beispiel. Oder meinen Freund Ulrich anrufen, der mit Krebs im ganzen Körper ins Hospiz gezogen ist. Oder mit dem bereits erwähnten Zwölfjährigen das Für und Wider von Mars-Expeditionen diskutieren, sein derzeit liebstes Thema.

Was bin ich nur für ein Vorbild?

Reue ist die Unzufriedenheit und Scham über etwas, das man getan oder unterlassen hat. Im Fall der Handy-Reue gilt leider sogar beides. Was bin ich nur für ein Vorbild?! Antwort: eins, das Unwichtiges am Handy tut und Wichtiges im Leben unterlässt.

Vor Kurzem war ich für eine Reportage in einer Klinik in Berchtesgaden, wo Kinder mit Handysucht eine neue Therapie durchlaufen. Der Vater von Lea (zwölf Jahre alt, zwölf Stunden Bildschirmzeit pro Tag) sagte den unvergesslichen Satz: „Könnte ich eine Zeitreise machen in Leas frühe Kindheit, ich würde ihr überhaupt kein Gerät mehr geben. Ich wäre knallhart.“ Knallhart aus Liebe, knallhart aus Reue. Die Reportage lesen Sie hier.

Nun ist Handy-Reue noch lange keine Handysucht. Damit das so bleibt, habe ich, erstens, sämtliche Screens im Haus kindersicher gemacht. Wie das geht, erfahren Sie hier. 

Zweitens ist es ein heilsamer Schock, mal das eigene Medienverhalten zu überprüfen. Von wegen Vorbild und so. Daniel Illy ist dafür ein guter Ratgeber, er ist Psychiater und einer der führenden Experten auf dem Gebiet.

Und drittens fiel mir etwas in die Hände, das ziemlich sicher gegen Handy-Reue hilft: Buch-Freude. Meine Kolleginnen aus dem Kulturressort haben gerade eine Sonderausgabe gemacht, sie heißt „Die Bücher unseres Lebens“. Gibt’s gedruckt (genau: für spätabends im Bett). Und hier.

Das Gute an der Reue ist, dass sie uns motiviert, bessere Entscheidungen zu treffen. In meinem Fall heißt das: Ich bin Donnerstag mit meinem Freund Ulrich verabredet („Bring keinen Kuchen mit, hab mich überfressen, sondern was Salziges. Ich freu’ mich“). Die Debatte mit meinem Sohn über Mars-Expeditionen ist heiß („Ich fliege da hin, Mama, aber das wird teuer“). Nur der rostende Badewannenabfluss, der kann noch warten.

Ihnen ein schönes Wochenende! Ihre Helen Bömelburg

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