Zwischen herzlichen Umarmungen und Warnungen vor KI: Tausende Autoren und Verlage kommen zur Buchmesse nach Frankfurt. Welche Themen die Literaturwelt aktuell besonders bewegen

Sorge um die Demokratie und Befürchtungen wegen Künstlicher Intelligenz, aber auch die Herzlichkeit des Gastlands Philippinen und vor allem viel Leselust: Die Frankfurter Buchmesse steckt im Zwiespalt der Gefühle. Zum Auftakt wird die ganze Bandbreite der Emotionen spürbar, die die Kulturwelt umtreibt.

Zerfetzt KI die Literatur?

Datenvampire in Goldgräberstimmung, Kunst als Beute, digitaler Kolonialismus: Kulturstaatsminister Wolfram Weimer findet beim Eröffnungsfestakt scharfe Worte für die Auswirkungen Künstlicher Intelligenz auf die Literatur: KI könne die Welt der Literatur „zerfetzen“. 

„Auf gleichsam vampiristische Weise saugen KI-Unternehmen das kreative Potenzial aus unzähligen klugen Köpfen, nutzen deren Ideen und Empfindungen, ihre Schaffenskraft, ihre Visionen. Damit wird die große kulturelle Errungenschaft autonomer Kunstwerke und vor allem Bücher zur bloßen Beute“, so Weimer. „Ich halte das für einen geistigen Vampirismus.“

In den Rechenzentren herrsche „Goldgräberstimmung“. Dort finde „ein Raubzug“ statt. Ganze Kulturen würden „zum Rohstofflieferanten degradiert und eigentlich schamlos ausgebeutet. Ich nenne das digitalen Kolonialismus, den wir nicht länger hinnehmen dürfen.“ 

Blumenkränze zur Begrüßung

Ehrengast sind in diesem Jahr die Philippinen. Im Gastlandpavillon werden die ersten Besucher überaus herzlich mit Blumenkränzen, Umarmungen und Gesang begrüßt. Das Archipel besteht aus 7.641 Inseln mit 134 indigenen Sprachen. Das Motto des Ehrengast-Auftritts lautet „Fantasie beseelt die Luft“.

In dem ebenso lichten wie schlichten Pavillon wurden Materialien wie Bambus, Muscheln und Ananasgewebe verbaut. Auf sechs „Inseln“ können die Besucher dem literarischen Programm lauschen, Bücher entdecken, Geschichtliches erfahren oder eine Videoinstallation sehen. Die Organisatoren versprechen „ein sechstägiges Fest“.

Rund 100 Delegierte von den Philippinen kommen nach Frankfurt, darunter die Friedensnobelpreisträgerin Maria Ressa. Einige Autoren hätten allerdings abgesagt, bestätigt die Buchmesse – aus Protest gegen die deutsche Haltung im Gaza-Konflikt.

Buchmesse als Debattenraum 

Angesichts der Konflikte in polarisierten Zeiten will die Frankfurter Buchmesse zum Dialog einladen: „In einer Welt, in der Grenzen gerade wieder an Macht gewinnen, ist die Begabung, verbindend zu sein, auch eine politische“, erklärt der Direktor der Buchmesse Juergen Boos. „Dieser Aufgabe stellen wir uns, jedes Jahr aufs Neue. Und dieses Jahr mit nie dagewesener Dringlichkeit.“ 

Und Karin Schmidt-Friderichs, Vorsteherin des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, betonte auf der Pressekonferenz: „Die Frankfurter Buchmesse kann eine Blaupause sein für ein faires Miteinander von Menschen.“ 

„Ohne Verbraucherschutz fürs Hirn“

Die scheidende Vorsteherin nutzte ihre Redezeit für eine deutliche Warnung: Neben Kriegen und Krisen „wird unsere demokratische Gesellschaft insbesondere durch Künstliche Intelligenz in den Händen verantwortungsloser digitaler Oligopole sukzessive ausgehöhlt“. 

Auf jedem Joghurt gebe eine Inhaltsliste, „aber daneben prasseln ohne jeden Verbraucherschutz fürs Hirn Insta, Tiktok und Telegram auf uns ein“. Jede Schülerzeitung müsse sich ans Presserecht halten, „aber die großen Plattformen verweigern die Verantwortung für die von ihnen publizierten Inhalte“. 

Für die 64-Jährige, die den Branchenverband sechs Jahre gelenkt hat, wird es die letzte Buchmesse in dieser Position, in der kommenden Woche übernimmt ihr Nachfolger, der Berliner Verleger Sebastian Guggolz.

Kämpferische Jugend

Der frisch gekürte Literaturnobelpreisträger László Krasznahorkai musste seinen Auftritt aus gesundheitlichen Gründen kurzfristig absagen. Stattdessen sprach junge Autorin Nora Haddada („Blaue Romanze“) als literarische Rednerin bei der Pressekonferenz.

Sie zeichnete das Bild einer Generation, die Mut aus der Verzweiflung schöpft. „Unsere Elterngeneration rennt offenen Auges in die Klimakatastrophe, wir halten an einem Finanzsystem fest, das uns früher oder später massiv um die Ohren fliegen wird, wir bereiten uns nicht darauf vor, dass die Boomer in Rente gehen, wir sollen vielleicht noch in den Krieg. Kurz: Wir sind eh am Sack.“

Das habe allerdings auch etwas Gutes: Autoren hätten nichts zu verlieren „und meine Generation sowieso nicht“, sagte die 1998 geborene Autorin. „Die gute Nachricht ist: Wir müssen nicht feige sein, wir können provozieren. Warum sich so klein machen? Wir können wesentlich mehr zu gewinnen als zu verlieren. Und wir haben mit der Literatur eine Waffe in der Hand, die gegen so viele negative Trends so gut gewappnet ist.“

Weit über 200.000 Besucher

Die weltweit größte Bücherschau wird am Dienstagabend mit einem Festakt eröffnet. Es spricht unter anderem Kulturstaatsminister Wolfram Weimer (CDU). Am Mittwoch und Donnerstag ist die Messe Fachbesuchern vorbehalten. Ab Freitag hat dann auch das Lesepublikum Zutritt. 

Mehr als 1.000 Autoren und Sprecher reisen zur Buchmesse nach Frankfurt. Rund 4.000 Verlage präsentieren ihre Produkte. Rund 7.000 Journalisten sind akkreditiert. Erwartet werden bis Sonntag weit mehr als 200.000 Besucherinnen und Besucher. Die Buchmesse endet mit der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels an den Historiker Karl Schlögel.

Frankfurter Buchmesse