26 Minuten Selbstverteidigung: Inmitten miserabler Umfragewerte versucht Friedrich Merz im Bundestag, das Bild der Regierung zu korrigieren. An einer Stelle packt er die Konkurrenz.

Am Ende klingt er fast ein bisschen wie Angela Merkel, seine große Rivalin. „Wir können das“, ruft Friedrich Merz ähnlich appellativ wie einst die frühere Kanzlerin in der Flüchtlingskrise. Merz meint an diesem Mittwochmorgen nicht die Aufnahme hunderttausender Migranten. Er will zeigen, dass an anderer Stelle was geht: beim wirtschaftlichen Aufschwung, bei der Reform des Sozialstaats, der Innovation. „Es ist atemberaubend, was wir heute schon in Deutschland sehen“, donnert der Kanzler ins Plenum, packt das Manuskript, geht wieder zu seinem Platz.

Es ist eine etwas eigenwillige Auslegung der gegenwärtigen Lage, jedenfalls muss man die Menschen, die es ähnlich sehen wie Merz, dieser Tage mit der Lupe suchen. Selbst seine eigenen Leute sind unruhig angesichts des ausbleibenden Aufschwungs, der Trägheit, die sich im Land breitzumachen droht. Schlüsselindustrien zittern um ihre Zukunft, die Sicherungssysteme wackeln. Und die Deutschen? Haben nach nicht einmal einem halben Jahr scheinbar schon genug von Merz gesehen. 

Mehr als zwei Drittel der Bürger sind unzufrieden mit ihm. Ein schlimmer Wert, fast atemberaubend, um mit dem Kanzler zu sprechen.

Mittwoch, neun Uhr im Bundestag: Merz tritt in der Generaldebatte auf, der zweiten innerhalb von sieben Tagen. Die Botschaft, die er dieses Mal setzen will: Ich bin doch gar nicht so schlecht. Angela Merkel und Olaf Scholz haben praktisch immer so geredet, als gäbe es gar keine Kritik, was stets leicht entrückt wirkte. 

Merz spricht die Vorwürfe gegenüber seiner Regierung offen an. Zu langsam in der Wirtschaftspolitik? „Wir haben mit den Maßnahmen längst begonnen“. Zu häufig im Ausland? „Außen- und Innenpolitik lassen sich nicht mehr voneinander trennen.“ Zu viele Kompromisse? „Keine Fraktion hat die absolute Mehrheit gewonnen.“ Ein Mann verteidigt sich selbst. 26 Minuten politisches Taekwondo, das sieht man von einem Kanzler auch selten.

Kein Wort von Merz zur Außenpolitik

Ist er überhaupt am richtigen Ort? In New York ist gerade die Uno zur Generalversammlung zusammengekommen, viele Mächtige haben sich dort versammelt, um über die Weltlage zu sprechen – und der Kanzler bleibt in Berlin, wirkt dadurch für den Moment wie eine internationale Randfigur.

Merz scheint das egal. Kaum ein Wort fällt in seiner Rede zu den großen Krisen, zum Ukraine-Krieg, zur Lage in Gaza. Nicht einmal den Namen Trump erwähnt Merz, was auch deshalb erstaunlich ist, weil der die schwarz-rote Regierung am Vortag ausdrücklich dafür gelobt hat, den falschen Weg in der Migrationspolitik und bei der grünen Energie verlassen zu haben. Aber von Trump will man gerade nicht wirklich vereinnahmt werden. Vielleicht schweigt Merz deshalb dazu. Vielleicht auch, weil er keinen äußeren Fürsprecher braucht. Er erledigt das schon selbst.

Erstens: das Wachstum. Es sei ja richtig, dass das schnell gehen müsse mit der wirtschaftlichen Erholung. Aber seine Regierung habe die Grundlage längst gelegt, ruft Merz und nennt die Investitionen, die Senkung der Stromsteuer, die Unternehmenssteuerreform. „Noch in diesem Jahr“ werde man Vorschläge machen, wie man das Bürgergeld vom Kopf auf die Füße stellen könne. Da klatschen sie mal in der Unionsfraktion.
 Zweitens: die Alltagstauglichkeit. Es gebe diesen Vorwurf, die Bundesregierung mache das Leben der Menschen nicht besser. Völliger Unsinn – so sieht es Merz. Die geplanten Sozialreformen machten das System gerechter, Bürokratie werde abgebaut, Wohnungen aufgebaut. „Es geht nicht über Nacht, aber es wird gebaut in Deutschland„, ruft der Kanzler und schiebt in schönster Selbstvergewisserung hinterher: „Diese Bundesregierung macht das Leben der Menschen tatsächlich besser.“
 Drittens: das Tempo. Der Kanzler ist auch auf diesem Feld völlig mit sich im Reinen. Man befinde sich nun einmal in einer Koalition, müsse abwägen, einen gemeinsamen Pfad finden. Sein Ziel sei es, das Land „in guter Balance“ zu halten – „nicht konfrontativ, nicht gespalten“. Auch bei den Reformen gelte es, miteinander zu diskutieren, ein Verständnis „für die Unausweichlichkeit von Veränderungen“ zu entwickeln. Er wolle Entscheidungen „in der Mitte“, eine Politik „ohne Hass und Hassrede“. Schöne Grüße an die AfD.

Der Kanzler knöpft sich Grüne und AfD vor

Einen hat er noch: den Klimaschutz. Er lese gerade häufig, die Koalition schleife den Klimaschutz. „Nichts könnte ferner sein“, sagt Merz. Unruhe bei Grünen und AfD. „Wir machen Klimaschutz ohne Ideologie.“ Größere Unruhe bei Grünen und AfD. „Ja, dass von links und von rechts jetzt dazwischengerufen wird, das ist schon sehr aufschlussreich“, ruft der Kanzler mit lautem Applaus seiner Leute. „Sehr aufschlussreich!“ 

Ob er eine Zwischenfrage von der Opposition erlaube, hakt die Bundestagspräsidentin ein. „Nein, vielen Dank.“ Motto: Heute bin ich mal dran. Es ist einer der wenigen Momente, in denen der Kanzler wirklich angriffslustig wirkt, die Konkurrenz packt.

Hilft es ihm, hilft es seiner Regierung, die Kritik offen anzusprechen, statt herumzuscholzen oder sich durch die Generaldebatte zu merkeln? Merz wirkt argumentativer als seine Vorgänger, das ist ein Vorteil. Das Problem dieser Strategie: Er wirkt defensiv, angreifbar, wie ein Mann, der sich permanent rechtfertigen muss. Merz macht sich in der aktuellen Krise selbst noch ein Stück kleiner, als er ist. Und Überraschungen, neue Vorstöße? Fehlten in diesem Auftritt völlig. 

Nächste Woche steht eine Kabinettsklausur im Kalender, mit sämtlichen Ministerinnen und Ministern. Ein Moment der Besinnung. Er kommt zur rechten Zeit.