Die Union zeigt sich zur Freude der SPD plötzlich gesprächsbereit bei der Reform der Erbschaftsteuer. Doch noch hängt alles am Verfassungsgericht – und damit auch andere Reformen.

Es ist immer wieder faszinierend, wie sich in der Politik die Dinge wiederholen – nie so ganz genau, aber doch sehr ähnlich. Vor bald zwei Jahren waren es die Richter am Bundesverfassungsgericht, die die Schuldenbremse im Grundgesetz so hart anzogen, dass selbst ihre ärgsten Verfechter schlucken mussten. Ironischerweise war dieses Urteil, an dem sogar die Ampel-Koalition zerbrach, zugleich der Sargnagel für die seit Jahren umstrittene Vorschrift. Kaum waren Ende Februar alle Stimmzettel zur Bundestagswahl ausgezählt, beschlossen Union und SPD noch mit der alten Mehrheit im Parlament, das Grundgesetz zu ändern. Heute steht die Schuldenbremse zwar irgendwie immer noch in der Verfassung, aber es muss sich niemand mehr daranhalten.  

Zwei Jahre später schaut der Berliner Politikbetrieb erneut etwas nervös nach Karlsruhe und wartet – diesmal allerdings unter anderen Vorzeichen: Vor zwei Jahren fürchtete die damalige Regierung die Entscheidung, diesmal sehnt die neue Koalition sie förmlich herbei. Denn wieder könnten die höchsten deutschen Richter ein Urteil sprechen, das weite Folgen haben könnte – für die noch frischen Koalitionspartner Union und SPD, die sich schon nach wenigen Monaten im Amt gegenseitig blockieren. Und für alle anderen im Land. Es stimmt schon, Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich.  

Nun geht es um die Erbschaftsteuer, auf die gerade alle in Berlin schielen. Rund 8,5 Milliarden Euro nahmen die Länder – die Erbschaftsteuer fließt komplett in die Kassen der Bundesländer – vergangenes Jahr aus vererbten Vermögen ein. Weitere 4,8 Milliarden kamen hinzu, weil auch Schenkungen besteuert wurden, insgesamt also 13,3 Milliarden Euro. Diese Einnahmen fielen an auf Vermögen im Wert von rund 65 Milliarden Euro, das 2024 entweder vererbt oder verschenkt wurde.

Erbschaftsteuer ist vor allem ein Symbol

Für eine Regierungskoalition, die wie in dieser Woche beschlossen hat, im laufenden Jahr mehr als 500 Milliarden Euro auszugeben, machen 1 bis 2 Milliarden mehr oder weniger keinen großen Unterschied. Zumal sie von den Einnahmen aus der Erbschaft- und Schenkungssteuer ohnehin nichts hat. Aber genau da fängt die Sache ja an, interessant zu werden.  

Gleich in mehrfacher Hinsicht ist die Erbschaftsteuer inzwischen ein Symbol geworden: Für die steuerliche Ungerechtigkeit im Land einerseits (weil Erbschaften im Vergleich zu Arbeitseinkommen nach Ansicht vieler Experten in Deutschland zu niedrig besteuert werden) ebenso wie für die Reformblockaden in der Berliner Regierung.

Den Anlass für die jüngsten Spekulationen über eine großangelegte Reform der Erbschaftsteuer lieferte kein Geringerer als Jens Spahn, Fraktionschef von CDU/CSU im Bundestag. Vor Millionen Fernsehzuschauern bekannte Spahn in der vergangenen Woche (für alle, die es nachschauen wollen, etwa ab Minute 41:00): Dass die Vermögensverteilung in Deutschland so nicht in Ordnung ist, da stimme ich zu.“ Und auf die Frage der Linken-Politikerin Heidi Reichinnek: „Ja, und was machen wir jetzt?“, antwortete Spahn nach einigem Hin und Her: „Wir werden ja noch in diesem Jahr ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Erbschaftsteuer haben“. Dann steckte er sich beide Zeigefinger in die Ohren und sagte: „Ich mache ja gar nicht so.“  

Einschnitte sind nötig – in allen Altersgruppen

Es war eine interessante Szene, an die man sich in den kommenden Wochen noch erinnern wird. Die SPD jedenfalls greift Spahns Bemerkung schon begierig auf. „Ich habe registriert, dass die Union über die Erbschaftsteuer diskutiert. Da sehe ich ein großes Möglichkeitsfenster“, sagte Finanzminister Lars Klingbeil dem „Handelsblatt“. 

Die Ausgangslage im Ringen zwischen Union und SPD um größere Strukturreformen stellt sich inzwischen so dar: Ohne ein klares Entgegenkommen der Union wird die SPD wenig machen. Das gilt für das Gesundheitssystem, für die Pflege und zuallererst für die Rentenversicherung. Mögen die Löcher in diesen Sozialkassen noch so groß werden, die Sozialdemokraten werden immer sagen: Allein auf dem Rücken der Arbeitnehmer, Rentner und Patienten wird es mit ihr keine großen Einschnitte geben. Die aber wären angesichts der rasant steigenden Ausgaben leider dringend nötig. Eher wird SPD-Chef Klingbeil mit den Infrastrukturmilliarden in seinem Haushalt die Löcher bei den Krankenkassen stopfen als die auf den Autobahnen. Ganz so, wie es Bundesrechnungshof und Ökonomen in dieser Woche bereits angeprangert haben. Und da im Koalitionsvertrag nichts zu größeren Reformen in den Sozialsystemen steht – was ein dramatischer Fehler war –, hat die Union auch keinen großen Hebel, gegen die SPD etwas durchzusetzen.

Erbschaftsteuer wäre nicht der große Wurf für den Bund

In der Sache muss man festhalten, dass auch eine Reform der Erbschaftsteuer, wie sie das Bundesverfassungsgericht verlangen könnte – etwa strengere Regeln für die Übertragung großer Vermögen und Unternehmensanteile – nicht viel an der desolaten Lage der öffentlichen Haushalte ändern würde. Es geht eben um Symbole, aber das ist nicht neu in der Politik und gilt eben auch für viele Vorhaben, die CDU und CSU wichtig sind. Zugleich bergen solche Themen immer die Gefahr, die ohnehin angefressene Stimmung in der Wirtschaft, speziell im deutschen Mittelstand, zu belasten. Umso wichtiger wäre es, offensiver das Gesamtpaket zu kommunizieren: Ja, es wird womöglich Belastungen für eine sehr kleine Gruppe an Menschen geben, aber dafür werden die Arbeits- und Produktionsbedingungen am Standort Deutschland insgesamt deutlich verbessert. Getreu dem alten Motto: Jeder muss einen Beitrag leisten.

Der „Herbst der Reformen“, den Kanzler Friedrich Merz vor einigen Wochen etwas zu selbstbewusst verkündet hat (wann endlich wird Merz lernen, den Mund nicht immer so voll zu nehmen?), hängt also vorerst davon ab, wie die Richter in Karlsruhe entscheiden. Denn erst mit einem Urteil des Verfassungsgerichts hätte Merz eine Begründung, warum er nach der Schuldenbremse („wird nicht angetastet“) nun auch bei den Steuern („keine Steuererhöhungen“) ein altes Versprechen kippt. Wenigstens hätte er so aber etwas in der Hand, um doch noch seinen Reformherbst zu bekommen – auch wenn wir dann wahrscheinlich schon den Frühling wieder spüren!