Seit Mai sind in Dänemark „Elternkompetenztests“ verboten, weil sie rassistisch sind. Trotzdem nehmen Behörden nach einem solchen Test einer grönländischen Mutter mit ihr Baby weg.
Dänische Behörden haben einer grönländischen Mutter ihr frisch geborenes Baby weggenommen und damit internationale Proteste ausgelöst. Wie der britische „Guardian“ berichtet, hatte die örtliche Gemeinde die Mutter zuvor einem seit Langem umstrittenen „Elternkompetenztest“ unterzogen. Seit Anfang des Jahres verbietet ein Gesetz diese psychometrischen Tests bei Menschen mit grönländischem Hintergrund.
Die Mutter Ivana Nikoline Brønlund wurde in Nuuk als Tochter grönländischer Eltern geboren. Sie hat für die grönländische Handballmannschaft gespielt. Ihre Tochter Aviaja-Luuna kam am 11. August in einem Krankenhaus in Hvidovre in der Nähe von Kopenhagen zur Welt. Dort lebt die 18-Jährige mit ihrer Familie.
Eine Stunde nach der Geburt nahm die Gemeinde das Baby in Pflege. Brønlund sagt, sie habe ihre Tochter seitdem nur einmal gesehen, für eine Stunde. Dabei durfte sie das Baby weder trösten noch die Windel wechseln.
Jahrelanger Kampf gegen Tests wegen Rassismus-Verdacht
Grundlage für die Entscheidung waren Tests, die zuvor gemacht und laut der Zeitung offenbar negativ bewertet wurden. Die „Elternkompetenztests“, bekannt als FKU (forældrekompetenceundersøgelse), wurden Anfang des Jahres für Menschen mit grönländischem Hintergrund verboten. Dies geschah nach jahrelanger Kritik von Aktivisten und Menschenrechtsorganisationen. Sie hatten erfolgreich argumentiert, die Tests seien rassistisch, da sie für Menschen mit Inuit-Hintergrund kulturell ungeeignet seien.
Weil das Gesetz bereits im Mai in Kraft getreten ist, stellte sich Aktivisten zufolge die Frage, warum Brønlund dennoch einem Test unterzogen wurde. Die lokalen Behörden hatten bei Brønlund im April mit den Tests begonnen. Abgeschlossen wurden sie im Juni, als das Gesetz bereits galt.
Brønlund wurde schließlich drei Wochen vor der Geburt mitgeteilt, dass ihr Kind weggenommen werden würde, weil sie selbst durch ihren Adoptivvater sexuell missbraucht worden war und ein Trauma davon habe. Die Gemeinde teilte ihr außerdem mit, dass sie „nicht grönländisch genug“ sei, um unter das neue Gesetz zu fallen, das die Tests verbietet. Die junge Mutter sagte dem „Guardian“: „Ich wollte nicht gebären, weil ich wusste, was danach passieren würde.“
In den Tests werden kognitive Fähigkeiten gemessen, Persönlichkeitsmerkmale, emotionale Funktionen und soziale Kognition bewertet. Die dänischen Behörden nutzen die Ergebnisse zusammen mit Hausbesuchen, Berichten von Sozialarbeitern und anderen Beweisen, um festzustellen, ob ein Kind von Vernachlässigung oder Schaden bedroht ist.
Gemeinde schweigt eisern
Die dänische Sozialministerin Sophie Hæstorp Andersen äußerte sich besorgt. Sie forderte die Gemeinde Høje-Taastrup auf, die für die Entscheidung verantwortlich war, ihren Umgang mit dem Fall zu erläutern. „Standardisierte Tests sollten bei der Unterbringung von Familien mit grönländischem Hintergrund nicht eingesetzt werden. Das Gesetz ist eindeutig“, sagte sie. Die Gemeinde lehnte bisher eine Stellungnahme ab und erklärte, sie sei zur Vertraulichkeit verpflichtet. Sie räumte jedoch Mängel in ihren Verfahren ein und erklärte, man wolle sicherstellen, dass die rechtlichen Anforderungen der Familie erfüllt würden und die „bestmögliche Lösung“ für sie gefunden werde.
Brønlund darf ihr Baby vorläufig nur unter Aufsicht alle zwei Wochen für jeweils zwei Stunden sehen. Ihre Berufung wird am 16. September verhandelt. Der Fall hat in Grönland zu Protesten geführt. Weitere sind in Kopenhagen, Reykjavík und Belfast geplant.
Dieser Artikel erschien zuerst bei ntv.de. Der stern ist wie ntv ein Teil von RTL Deutschland.