In der Pubertät verlagert sich die Aktivität von Mädchen und Jungen oft in die Abendstunden. Wenn der Unterricht nicht schon um acht Uhr startet, kann dies sinnvoll sein, sagt eine Schlafmedizinerin.

Den Schulbeginn legen an einigen Schulen in Niedersachsen jetzt Schülerinnen und Schüler selbst für sich fest. Berufsbildende Schulen in Rinteln im Weserbergland und in Göttingen haben dazu ein Gleitzeitmodell eingeführt. Dieses könnte laut einer Schlafforscherin ein Schritt in die richtige Richtung sein.

Was hat die Schulen zu diesem Schritt motiviert? Die Berufsbildende Schule in Rinteln wolle Schülern an ihrem Beruflichen Gymnasium mehr Eigenverantwortung übertragen, sagt Lehrer Eike Blohm. Damit würden sie auf die moderne Arbeitswelt vorbereitet, in der Gleitzeit längst etabliert sei. Zudem gehe es um eine Anpassung an den Biorhythmus älterer Schüler, um damit bessere Leistungen zu ermöglichen, erläutert der Pädagoge. „Cool-flex“ heißt das Unterrichtskonzept, das im Sommer 2023 eingeführt wurde.

Die Schülerinnen und Schüler können in bis zu fünf Unterrichtsstunden pro Woche vorher festgelegte Aufgaben erledigen und dabei auch Lehrkräfte um Hilfe bitten. Wenn sie dies nicht in der ersten Schulstunde tun möchten, dürfen sie die Aufgaben in Freistunden oder am Nachmittag erledigen. Lehrkräfte erlebten Schüler seitdem wacher, motivierter und konzentrierter, sagte Blohm.

Früh aufstehen wegen schlechter Verkehrsanbindung

Gleitzeitmodelle haben oft mit dem Einzugsgebiet der jeweiligen Schule zu tun. In Göttingen kommen Schüler auch aus Nordhessen. Wegen des schlecht ausgebauten Nahverkehrs müssten manche schon um sechs Uhr den Schulweg antreten, um pünktlich zur ersten Stunde um 7.50 Uhr zu erscheinen. Seit diesem Schuljahr gibt es daher am dortigen Beruflichen Gymnasium ebenfalls ein „Cool-flex“-Modell für alle ab der elften Klasse. 

In Göttingen können sich Schüler in den Fächern Deutsch, Englisch, Berufliche Informatik und Spanisch einige Stunden selbst aussuchen. Dazu steht den Angaben zufolge ein Pool aus 40 sogenannten Cool-Stunden zur Verfügung. Das seien jeweils die ersten und letzten Stunden eines Tages. Ähnlich wie in Rinteln werden in diesen Stunden vorab festgelegte Aufgaben erledigt.

Betreuungsangebote am Morgen als Alternative 

Auch die Freie Schule in Gifhorn bietet ein Gleitzeitmodell an. Im Landkreis Nienburg gab es während der Corona-Zeit Überlegungen in diese Richtung, wie ein Verwaltungssprecher sagt. Der Schulbusverkehr habe diese Idee aber nicht stemmen können. 

In Wilhelmshaven gibt es laut einer Stadtsprecherin teilweise Betreuungsangebote vor dem tatsächlichen Unterrichtsbeginn. Auch an der IGS Oyten im Landkreis Verden müssen Schüler zwar um 7.45 Uhr in der Schule sein, „haben dann aber erst einmal Zeit „anzukommen“ mit Gesprächen“ oder Spielen, wie die Regionalen Landesämter für Schule und Bildung mitteilen.

Expertin: Späterer Schulstart für Jugendliche sinnvoll

Wissenschaftlich sei bereits lange klar, dass ein späterer Schulbeginn hilfreich für ältere Schüler ist, sagt Schlafmedizinerin Elisabeth Yoshida-Stiksrud von der Universitätsmedizin Göttingen. Ab der Pubertät verlagere sich die Aktivität unter anderem hormonell bedingt in die Abendstunden, sodass am Morgen mehr Schlaf benötigt werde. Bei Mädchen passiere das meist sogar zwei Jahre früher als bei Jungen. Grundschüler kommen der Wissenschaftlerin zufolge hingegen noch relativ gut mit einem früheren Schulbeginn zurecht. 

Als Richtwerte für den Schulbeginn seien in der Wissenschaft bereits vor rund zehn Jahren acht Uhr für die Grundschule, neun für die Mittelstufe und zehn für die Oberstufe formuliert worden. Entscheidend sei allerdings, dass überhaupt genug geschlafen werde. Jugendliche benötigten mindestens acht Stunden Schlaf. „Hier sind auch die Eltern gefragt“, sagt Yoshida-Stiksrud. „Wer noch lange am Handy ist und nicht auf acht Stunden Schlaf kommt, dem hilft auch ein späterer Schulstart nicht.“

Kultusministerium macht keine Vorgaben

Auch der dauerhafte Schlafrhythmus spielt eine Rolle. Das zeige sich am sogenannten Social Jetlag, sagte die Schlafmedizinerin. Weil Schüler am Wochenende – anders als unter der Woche – länger wach bleiben und ausschlafen, hätten sie Probleme, sich an Schultagen wieder umzugewöhnen. Hier könne ein Gleitzeitmodell an Grenzen stoßen. Wenn die Schule an jedem Tag zu unterschiedlichen Zeiten beginne, könnten die Tage mit spätem Start dazu verlocken, am Vortag zu lange wach zu bleiben. Letztlich müsse das aber die Erfahrung zeigen.

Das Kultusministerium möchte dazu übrigens keine Vorgaben machen. In Niedersachsen sei lediglich festgelegt, dass der Unterricht nicht vor 7.30 Uhr beginnen darf, sagt ein Sprecher. Wegen unterschiedlicher Interessen und Gegebenheiten sollen Schulen im Einzelnen selbst über ihren Schulstart bestimmen. Neben den Bedürfnissen der Schüler spielten zum Beispiel auch die Berufstätigkeit von Eltern oder die Kapazitäten der Schulbusse eine Rolle. Der Nachmittag werde zudem oft für Vereinssport oder andere Hobbys genutzt.