In Nord- und Ostsee verrosten 1,6 Millionen Tonnen Weltkriegsmunition, die vor 80 Jahren einfach verklappt wurden. Die Kampfmittel sollen geborgen werden. Ein Test in der Wismarer Bucht läuft.

In der Wismarer Bucht vor Boltenhagen ist ein 30-tägiges Pilotprojekt zur Bergung von Altmunition vom Meeresboden angelaufen. Die Spezialplattform „Baltic Lift“ traf am Einsatzort ein, wo sie an vier Punkten fest verankert wurde. „Wir haben gestern angefangen zu räumen“, sagte Eyk-Uwe Pap, Geschäftsführer des mit der Ausführung beauftragten Unternehmens Baltic Taucher am Sonntag der Deutschen Presse-Agentur. „Das Wetter ist gut. Es läuft top.“ 

Erste Munition in der Sortierstation

Zunächst seien nach einem Umweltmonitoring die Unterwassersortierplätze für die Munition ins Wasser abgelassen worden. Zudem habe ein Roboter das in etwa 22 Meter Tiefe liegende ganze Munitionsfeld untersucht. Die Taucher hätten dann zunächst kleinere Munitionsstücke aus dem Verband gelöst, später auch Granaten mit einem Durchmesser von 12,5 Zentimetern in die Unterwasser-Sortierstation gebracht. Die Verpackungskisten seien in sehr schlechtem Zustand, so Pap. 

Letztlich sollen in vier Wochen rund 15 Tonnen Altmunition geborgen und dann entsorgt werden. Dabei wird auch die Frage geklärt, ob eine Bergung möglicherweise mehr negative Einflüsse als ein Belassen der Sprengmittel auf dem Meeresboden hat. Um das zu analysieren, werden am Meeresboden in der Nähe des Einsatzortes auch Miesmuscheln ausgesetzt, die nach dem Ende der vierwöchigen Arbeiten auf mögliche Schadstoffe untersucht werden. 

Krebserregend und mutationsfördernd

Eine Explosionsgefahr sieht der Meerestechnik-Experte Wolfgang Sichermann bei diesem Projekt nicht als erste Risikoquelle. Die sei eigentlich nur dann gegeben, wenn es starke mechanische Einwirkungen auf die Kampfmittel gebe, zum Beispiel bei Baumaßnahmen, sagte der Geschäftsführer des Unternehmens Seascape, dem die Projektleitung obliegt, in einem Interview von NDR Info. Es sei eher so, dass durch die korrodierenden Behälter Stück für Stück Sprengstoffe freigesetzt würden. „Die lösen sich gut in Wasser, und die Bestandteile sind krebserregend und auch mutationsfördernd.“

Ausführendes Unternehmen ist der Baltic Taucherei- und Bergungsbetrieb in Rostock (Baltic Taucher), dem auch die rund 54 Meter lange und 18 Meter breite Bergungsplattform „Baltic Lift“ gehört, die früher ein Tankschiff war und selbstständig fährt. Die sichtbare Munition am Meeresboden ist nach Angaben des Unternehmens nur die Spitze des Eisberges. Der Großteil Altmunition wie Granaten und Panzerfäuste dürfte an dem Ort unter meterhohem Weichsediment und Schlamm liegen. Die Bergung ist herausfordernd. „Das ist ein bisschen wie Mikado“, so Pap.

In der Wismarer Bucht gibt es die Besonderheit, dass die Munitionsaltlasten zusammen mit einer Schute – einem Transportschiff ohne eigenen Antrieb – versenkt wurden, weshalb sich der Großteil der Munition vermutlich neben der bäuchlings nach oben liegenden Schute befinde. Pap schätzte das Gesamtvolumen auf 900 bis 1.000 Tonnen. Bei dem Projekt sollen vor allem Erkenntnisse über Munition und Bergung gesammelt werden. Die Arbeit auf der Plattform läuft demnach rund um die Uhr, wobei sich zwei Teams mit je 24 Mitarbeitern im Zwölf-Stunden-Takt ablösen. 

Entsorgung an Land in Munster

Die geborgene Munition bleibt so lange in neuen Spezialkisten unter Wasser, bis ein Termin für einen Munitionstransport mit dem Schiff nach Wismar steht. Das dürfte nicht vor Mitte August der Fall sein. Von Wismar aus geht es dann in die bundeseigene Anlage der Gesellschaft zur Entsorgung von chemischen Kampfstoffen und Rüstungsaltlasten nach Munster in Niedersachsen. 

Die 30-tägige Aktion bei Großklützhöved vor Boltenhagen (Landkreis Rostock) ist Teil des Sofortprogramms Munitionsaltlasten in Nord- und Ostsee, für die insgesamt 100 Millionen Euro aus Bundesmitteln zur Verfügung stehen. Die Kosten für die Bergung vor Boltenhagen werden mit rund fünf Millionen Euro beziffert.