Sie spaltet die USA wie selten eine junge Schauspielerin zuvor: Über Sydney Sweeney wird heftig gestritten. Zu Recht?

Früher hätte man gesagt: Die kommt vom Land, hat schon als Kind allen gern was vorgespielt oder gesungen und früh kapiert, dass sich die Jungs nach ihr umdrehen und leicht irre werden. Also hat sie sich gedacht, daraus mache ich was. Vom Landei zum Star, wie Pamela Anderson, Anna Nicole Smith und Britney Spears, so simpel, wenn auch nicht immer glücklich, war das mal. Früher. Heute reden wir über Sydney Sweeney, 27, geboren in Spokane am Rand der Rocky Mountains und eigentlich auch nur eine junge Frau mit dem großen Traum, es aus der Provinz in die Welt des Schauspiels und des Ruhms zu schaffen.

Was sie geschafft hat.

Aber nun wird es komplizierter, weil die Zeiten komplizierter sind. Über Sweeney redet nämlich gerade ganz Amerika, sie spaltet das Land in Freund und Feind wie selten eine junge Schauspielerin zuvor. Und das nicht wegen ihrer Rollen oder der Filme, in denen sie spielt. Im Gegenteil, Sweeney beeindruckt in jeder Minute vor der Kamera, weil sie hinter ihrer All-American-Girl-Augenscheinlichkeit ziemlich düstere Abgründe aufreißt. In der gefeierten Serie „Euphoria“ war sie Cassie, die von ihrem Freund vergewaltigt wird, in „Sharp Objects“ gab sie die Alice, die sich in der Psychiatrie selbst verwundet, und in „The Voyeurs“ rächte sie sich reichlich brutal an einem sexbesessenen Künstlerpaar. Leichte Kost geht anders.

Sydney Sweeney hat große Symbolkraft

Sweeneys große Qualität ist dabei, mit ihrem schauspielerischen Repertoire Frauen aller Sozialwelten und Schicksale so glaubhaft darstellen zu können, als wären es ihre. Und deshalb wird sich die Liste der bisher 48 Produktionen, zu denen neben „White Lotus“ auch Tarantinos „Once Upon A Time In Hollywood“ gehört, wo sie ein Mitglied der Manson-Sekte spielt, auch in Zukunft ständig verlängern. Sweeney dreht anscheinend ohne Pause und hat in den USA schon eine solche Symbolkraft, dass die Rolling Stones sie 2023 für das Video zu ihrem Song „Angry“ besetzten.

Womit wir beim ersten Streitthema um Sydney Sweeney angelangt wären. Denn in „Angry“ tat sie nicht viel mehr, als sich in Lederkorsage bekleidet auf einem fahrenden Cabrio zum Song zu winden, ein eher oldschooliges Verständnis von Sexyness, könnte man meinen, was den Stones dann auch den Vorwurf einbrachte, Frauen als Lustvorlage zu objektifizieren. Sweeney selbst wehrte sich dagegen: „Ich fühlte mich heiß und ich finde, dass einen der eigene Körper unheimlich empowern kann. Sich in seinem Körper wohlzufühlen, ist sexy und stark, und ich denke nicht, dass daran irgendetwas falsch ist.“

Sie finde auch überhaupt nichts daran, in vielen ihrer Rollen – wie zum Beispiel als Cassie in „Euphoria“ – nackt vor der Kamera zu stehen, wenn es denn zu der Geschichte und dem Charakter passe, hat sie gesagt. Nur Nacktheit der Nacktheit wegen würde sie nicht machen.

Will Sydney Sweeney wirklich Frauen stärken? Oder sich als Sexsymbol vermarkten?

In Zeiten, in denen sich in Filmen und im TV kaum noch Schauspieler in Gänze entblößen, verstört Sweeneys freigeistige Unbekümmertheit und befeuert zugleich den Verdacht, mit ihr wolle eine reaktionäre Industrie die untergegangene Kultur der „Sexbomben“ und Männerfantasien wiederbeleben. Erzählungen, die ziemlich gut passen in die Gedankenwelt von Donald Trump. Eine wie Sweeney würde all das nur bedienen, sie sei Teil des Trumpschen Anti-Woke-Furors: Das ist also, zusammengefasst, der Vorwurf.

Ganz so einfach ist es aber nicht. Obwohl sich Sweeney 2024 als Wählerin der Republikaner registrieren ließ, darf man ihr glauben, dass sie ihr Tun nicht politisch oder gar mit einer gestrigen Agenda aufladen will und es ihr, jedenfalls mit den meisten ihrer Rollen und in ihrem Verhältnis zu ihrem Körper, durchaus um die Stärke und Stärkung von Frauen geht.

Weil aber Politisches nicht mehr privat sein darf, registrierte die sensible Öffentlichkeit auch gleich, dass einige Gäste auf der Feier zum 60. Geburtstag von Sweeneys Mutter rote Caps mit der Aufschrift „Make 60 Great Again“ trugen. Und auch, dass Sweeney eine Männerseife namens „Dr. Squatch“ verkauft, die mit ihrem eigenen Badewasser veredelt sein soll, was ihr abermals den Vorwurf einbrachte, sich als Sexobjekt zu kommerzialisieren. Und dann ist da der aktuellste Fall: Die Jeansmarke „American Eagle“ hat Sweeney mit dem werbepoetisch mittelmäßigen Wortspiel „Sydney Sweeney has great Genes“ (was im Englischen eben ähnlich klingt wie „Jeans“) zur neuen Heldin ihrer Kampagne gemacht. Shitstorm inklusive, was absehbar war, wenn man zum Auftritt einer blonden, blauäugigen Frau über gute (und damit ja immer auch schlechte) Gene fabuliert.

Selbst wenn es, wie behauptet, keine Absicht gewesen sein sollte, eine Jeans mit Anspielungen auf Eugenik und Rassenlehre zu verzieren, so muss doch mindestens von einer Gedanken- und Geschichtslosigkeit gesprochen werden, die besonders für Sweeney Folgen haben könnte. Die 27-Jährige ist in der US-Werbung das Gesicht so vieler Marken, dass die „New York Times“ sie stöhnend „die unausweichliche Sydney Sweeney“ nannte und schon vor öffentlicher Übersättigung warnte. Die Gemeinte selbst konterte mit der Bemerkung, sie bräuchte diese Nebeneinkünfte, da sie von Filmgagen allein nicht leben könne.

Die aktuelle Aufregung sitzt Sweeney übrigens schweigend aus. In „Christy“, ihrem nächsten Film, wird man sie dann schwerlich erkennen. Für die Rolle einer Boxerin nahm sie 13 Kilo zu. Auch dazu werden alle eine Meinung haben.