Während Wiesenhof Hundertausende Hühner täglich schlachtet, sind es bei Lars Odefey nur 10.000 im Jahr. Seine Methode: abends sammeln, französisch schlachten, direkt vermarkten.

Lars Odefey stapft mit einer Taschenlampe über die dunkle Wiese zu den mobilen Hühnerställen. Es ist Abend in der Lüneburger Heide, die Tiere schlafen, nichts ist zu hören. „Im Dunkeln sehen sie nichts, das reduziert den Stress“, erklärt er leise und sammelt die Hühner vorsichtig in Transportkisten. Acht bis zehn Tiere pro Box, nicht zu eng, aber auch nicht allein: „Sie sind halt gern zusammen“. Am nächsten Morgen werden sie im hofeigenen Schlachthaus getötet. Schnell und im Dunkeln.

Odefeys Arbeitsweise unterscheidet sich wohltuend vom knallharten, modernen industriellen Business. Fast wie aus der Zeit gefallen. Das beginnt schon mit der Aufzucht: kleine Gruppen, biologisch erzeugtes Futter, eigene Elterntiere und Zucht, händische Fütterung. Dazu kommt die ganze Energiethematik mit Autarkie-Ansätzen. Eigentlich macht Odefey alles anders.

Während um ihn herum die Agrarindustrie mit Effizienz und Masse punktet, verkauft Lars Odefey das Gegenteil: Zeit.

100 Tage leben seine Hühner, fast dreimal so lange wie konventionell gehaltene Tiere. Rund 32 Euro kostet sein günstigstes Produkt, das Weidehuhn.

Mobiler Stall auf der Wiese
© Vivi D’Angelo

Lars Odefeys Ausstieg aus der Agrarindustrie

Schon der Firmenname bricht mit Traditionen: Odefey & Töchter heißt der Betrieb, in einem Sektor, der sonst von „& Söhnen“ und „Gebrüdern“ dominiert wird. Ein kleines, aber deutliches Zeichen für eine Agrarkultur im Wandel. Lars Odefey, der zwölf Semester Landwirtschaft studierte und fünf Jahre für den Schinkenhersteller Abraham im Einkauf arbeitete, führt den Hof in Mehre im Landkreis Uelzen in zweiter Generation. Sein Vater hatte bereits hobbymäßig Landwirtschaft betrieben und schon damals Spitzenköche wie Thomas Martin am Hamburger Fischereihafen und Cornelia Poletto beliefert.

„Es waren eigentlich zwei Dinge“, erklärt Odefey seine Wandlung. „Das eine war die persönliche Belastung – einfach nur Rechner, Telefon, Stress. Und dann natürlich auch inhaltlich.“ Bei Abraham lernte er die Großschlachtbetriebe kennen: Tönnies, Westfleisch, Wiesenhof. In Lohne sah er, wie Hundertausende Tiere täglich geschlachtet werden – mit einem gewaltigen Energieaufwand.

„Das ist einfach krank“, sagt er über das System. „Da wollte ich raus.“ Seine Eltern hatten bereits Ökolandbau studiert und praktiziert, doch der Einblick in Großschlachtereien habe ihm die Augen für die Absurdität der Industrie geöffnet. „Ich bin halt naiv und dachte, man kann was verändern. Aber dieser Tanker ist einfach so träge.“

Die Zahlen sprechen eine klare Sprache: Wo Großmäster zwischen drei und fünf Cent Gewinn pro Tier erwirtschaften und dabei auf präventive Antibiotika-Gaben angewiesen sind, verkauft Odefey seine Hühner direkt an Spitzenköche und private Kunden, und verdient dabei etwa zehn bis zwölf Euro pro Tier. Seine Weidehühner, Bresse Gauloise, Sulmtaler Hühner und Marans leben auf vier Quadratmetern Weide pro Tier – konventionell gehaltene Hühner haben keinen Auslauf und nur 0,045 Quadratmeter Platz.

Die französische Methode

Bei Odefey & Töchter passiert alles in einem Radius von weniger als 300 Metern: Schlupf, Aufzucht, Freilandhaltung und Schlachtung – Odefey selbst lebt auf dem Hof. Die Shropshire-Schafe, die zwischen den Hühnern grasen, kümmern sich um die Landschaftspflege und schützen das frei laufende Geflügel vor Angriffen von Greifvögeln.

Am nächsten Morgen werden die Hühner im hofeigenen Schlachthaus schmerzfrei betäubt und getötet. Alles geht schnell und ruhig. „Die gackern nicht, sie schreien nicht“, sagt Odefey. Dann folgt das Besondere: Er praktiziert eine sehr selten gewordene Methode, die er sich mit seinem Vater in Frankreich abgeschaut hat.

Während in Großschlachtbetrieben Greifarme „wie bei Kuscheltier-Automaten auf dem Jahrmarkt“ in Sekundenbruchteilen die Innereien herausreißen und danach alles mit Wasser gespült wird, macht Odefey es anders: Nur zum Brühen des Federkleides wird Wasser verwendet, das Ausnehmen geschieht trocken. „Jedes Huhn wird von Hand ausgenommen, jeder Schnitt muss sitzen“, erklärt er. „Wasser ist Nährboden für Keime und verwässert das Fleisch.“

„Wir haben in acht Jahren noch nie einen Rückruf gehabt“, erzählt Odefey. Während konventionelle Betriebe mit Salmonellen-Problemen und Fäkalkeimen kämpften – daher kommt auch die Empfehlung an Kunden, Geflügelfleisch immer gut durchzugaren, was kulinarisch eigentlich keinen Sinn ergibt –, seien seine Fleischproben seit Jahren unauffällig. Manche Spitzenköche servieren Odefeys Hühnerfleisch sogar medium-rare.

Glückliche Hühner bei Odefey & Töchter
© Vivi D’Angelo

Odefeys Modell für die Zukunft

Der Weg zur Direktvermarktung war für Odefey alternativlos. Im Einzelhandel würden Margen von 38 bis 42 Prozent seine Hühner auf 60 Euro verteuern. Also entwickelte er ein Versandsystem: Seine geschlachteten Hühner reisen in Strohmatten-Verpackungen statt Styropor, vakuumiert für Privatkunden, mit Kopf und Krallen für die Gastronomie.

Die hofeigene Schlachterei mit EU-Registrierung unterliegt strengen Kontrollen, doch Odefey hat das Vertrauen der Behörden gewonnen. Der Veterinär kommt nur noch sporadisch vorbei.

Mehr über Lars Odefey und das ganze Thema Huhn finden Sie hier: „Küchenhandbuch Huhn“ von Ingmar Jaschok-Hops, Vincent Fricke, Sebastian Junge, Fotos von Vivi D’Angelo. Erschienen im Ulmer Verlag. 45 Euro

„Lieber viele kleine Betriebe, die alle was Unterschiedliches machen“, sagt Odefey über seine Vision für die deutsche Landwirtschaft. Er träumt von einer Struktur wie in der Gastronomie: dort gebe es zwei Millionen Angestellte ohne große Lobby, aber mit kultureller Vielfalt. Vom Dönerladen bis zum Sternerestaurant. „Wenn hier wieder ein landwirtschaftlicher Betrieb aufhört, ist das immer schade. Der kommt ja nicht wieder.“

Die Krise der letzten Jahre trifft auch ihn. Restaurants schließen, Rechnungen werden acht Wochen später bezahlt, manche Köche steigen auf kostengünstigere Produkte um. „Es ist jetzt nicht existenzbedrohend, aber es ist auch nicht so richtig geil“, resümiert er. Trotzdem halten viele seiner Kunden ihm die Treue: „Entweder wir machen dein Huhn oder wir machen halt keins.“

Lars Odefey mit seinen Hunden
© Vivi D’Angelo

Am Ende geht es um mehr als nur Hühner. „Wir wandeln Naturkapital in Geld um“, kritisiert Odefey das System. Wir beziehen Öl aus dem Boden, verbrennen es über der Erde, nur damit wir Soja aus Südamerika herbringen und hier durch Schweine durchjagen, damit die Deutschen für drei Euro ihr Schnitzel essen können. Das ist absurd.“

Seine Alternative: Weniger, aber besseres Fleisch. „Den Leuten geht es besser, der Umwelt geht es besser, dem Klima geht es besser.“ Ein 32-Euro-Huhn als politisches Statement – und als Beweis, dass Landwirtschaft auch anders geht.