Klare Zuständigkeiten, höhere Effizienz und mehr Bürgerbeteiligung: In 35 Forderungen hat eine Expertengruppe eine umfassende Modernisierung des Staates gefordert. Am Montag übergaben die Mitglieder der „Initiative für einen handlungsfähigen Staat“ ihren Abschlussbericht an Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Angemahnt werden Reformen etwa in den Bereichen Verwaltung, Sozialstaat, Migration, Wirtschaft und Sicherheit. Lob gab es dabei für den Koalitonsvertrag der neuen Bundesregierung.

Initiatorinnen und Initiatoren des überparteilichen Projekts sind die Verlegerin Julia Jäkel, Ex-Verfassungsgerichtspräsident Andreas Voßkuhle sowie die früheren Bundesminister Thomas de Maizière (CDU) und Peer Steinbrück (SPD). Von diesen kam auch die ursprüngliche Idee für die Initiative, Steinmeier übernahm die Schirmherrschaft.

In ihren Abschlussempfehlungen sprechen sich die Autorin und die Autoren unter anderem dafür aus, die Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern klarer zu fassen. So solle etwa die Befugnis für Abschiebungen von den Ländern auf den Bund übergehen. Zudem werden eine Entbürokratisierung und mehr Effizienz in der öffentlichen Verwaltung gefordert. Nötig sei, dass der Staat „die alltäglichen Bedürfnisse zeitnah und effizient erfüllt und nicht in einem Wust von Vorschriften erstickt“.

„Wir sind ein perfektionistischer Staat geworden, aber es gibt (…) Kipppunkte, in denen es zu überperfektionistisch ist“, sagte Mitinitiator Voßkuhle mit Blick auf die staatliche Verwaltung. 

Die Initiatoren wollen mehr Beteiligung der Bevölkerung etwa in Form von Bürgerräten. Sie sehen aber auch Verbesserungspotenzial in der Sozial- und Migrationspolitik, die die Bedingungen für einen effektiveren Staat verbessern könnten. Für Einwanderer sollten Aufnahmeverfahren und Integration erleichtert werden. Gefordert wird auch die Einführung der allgemeinen Dienstpflicht in Form eines Pflichtjahrs. 

In der Sozialpolitik wird die Bündelung aller Regelleistungen des Staates über eine zentrale Dienstleistungsplattform angeregt. „Die Frage dieser Sozialstaatsreform ist einer der ganz großen Elefanten im politischen Raum“, sagte Steinbrück dazu.

Gesetze sollen ebenfalls effizienter und „ausnahmefreundlich“ werden. Konkret wird eine „Experimentierklausel“ vorgeschlagen – Verwaltungen sollen damit bestimmte Regelungen erst ausprobieren können, um daraus Lehren zu ziehen. Zudem sollten Regeln des Datenschutzes gelockert werden.

Schirmherr Steinmeier betonte die Relevanz eines funktionierenden Staates für die Gesellschaft. „Je handlungsfähiger unser Staat ist, desto größer das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in unser Gemeinwesen – und damit auch in unsere Demokratie“, sagte der Bundespräsident. Wenn Menschen den Eindruck gewönnen, dass der Staat und seine Institutionen nicht mehr das leisteten, was sie versprächen, erodiere politisches Vertrauen in die demokratische Ordnung.

Daher warb auch Steinmeier für Entbürokratisierung beim Staat. „Manchmal wäre weniger eben mehr – weniger Regeln, die einfacher und dafür klarer sind“, sagte Steinmeier. Er lobte Bund und Länder, die eine „Modernisierungsagenda“ noch bis Dezember vorlegen wollen. 

Die Expertenkommission sieht eine große Chance, dass ihre Vorschläge umgesetzt werden. „Die Erfolgsaussichten sind auch deswegen so gut, weil die Lage so schlecht ist“, sagte Ex-Bundesminister de Maizière. Die Reformansätze sollen in Modellkommunen und -regionen erprobt werden. Den Autorinnen und Autoren zufolge haben sich als Modellstädte bereits Köln und Stralsund beworben, zudem komme ein Standort in Sachsen und einer in Westdeutschland in Frage.

Explizit loben die Initiatoren den Koalitionsvertrag von Union und SPD. „Würde nur die Hälfte dieser Vorhaben umgesetzt, wäre dieses Land ein anderes Land“, sagte Jäkel bei der Veranstaltung in Schloss Bellevue. „Deshalb muss sich nun alles auf die Umsetzung der Vorhaben konzentrieren.“ Sie hob hervor, dass sich ein großer Teil der Empfehlungen wie die Einsetzung eines Ministeriums für Digitales und Staatsmodernisierung bereits im Koalitionsvertrag wiederfinde. „Der Wille, dieses Land zu verändern und eine Staatsreform anzugehen, durchzieht den gesamten Koalitionsvertrag“, sagte sie.