Der Bundeskanzler äußert sich zum Hissen der Regenbogenfahne auf dem Bundestag. An seiner Position gibt es in Berlin deutliche Kritik – von unterschiedlicher Seite.
Die Äußerungen von Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) zum Hissen der Regenbogenfahne beim Christopher Street Day haben in Berlin parteiübergreifend Kritik provoziert. „Die CDU offenbart ein überkommenes Gesellschaftsbild, das queere Menschen zu Clowns, Freaks und Exoten herabwürdigt“, sagte der queerpolitische Sprecher der Grünen-Fraktion im Landesparlament, Sebastian Walter, der Deutschen Presse-Agentur.
„Friedrich Merz übernimmt damit die queerfeindliche Rhetorik eines Donald Trump.“ Offensichtlich sollten queere Menschen und ihre Symbole wieder unsichtbar gemacht und ihre Rechte wieder infrage gestellt werden. „Dem stellen wir uns entschieden entgegen.“
Merz hatte sich in der ARD-Talkshow „Maischberger“ hinter den Kurs von Bundestagspräsidentin Julia Klöckner zum Christopher Street Day (CSD) gestellt. Der CDU-Chef sagte auf die Frage, wie er es finde, dass Klöckner die Regenbogenfahne zum CSD am 26. Juli nicht auf dem Bundestag hissen will: „Der Bundestag ist ja nun kein Zirkuszelt“, auf dem man beliebig Fahnen hisse.
Jeder könne vor seiner eigenen Haustür Fahnen hissen, was er wolle, sagte der Kanzler. „Aber wir reden hier über das deutsche Parlament und im deutschen Parlament werden nicht jeden Tag beliebig irgendwelche Fahnen aufgehängt, sondern die deutsche Nationalflagge und die europäische Flagge.“
Kritik auch aus der Berliner CDU
Auch aus der CDU gibt es Kritik: „Ich finde ehrlicherweise die Formulierung mit dem Zirkuszelt sehr unglücklich, gerade in der jetzigen aufgeheizten Diskussionszeit mit zunehmender Hassgewalt“, sagte die queerpolitische Sprecherin der Fraktion, Lisa Knack, der dpa. „Da hätte man einfach andere Worte wählen können. Meiner persönlichen Meinung nach wäre das besser gewesen, um deeskalierend unterwegs zu sein.“
Faktisch habe Merz recht: „Natürlich ist der Bundestag kein x-beliebiges Gebäude, wo man jeden Tag eine andere Fahne hisst“, sagte Knack. „Ich glaube, darum geht es aber auch nicht.“ In diesem Kontext sei das Wort Zirkus einfach sehr unglücklich. In der queeren Community sei die Diskussion darüber natürlich groß.
Knack wies darauf hin, dass die Regenbogenflagge regelmäßig am Fahnenmast vor dem Roten Rathaus zu sehen sei. „Ich hätte es auch in Ordnung gefunden, wenn sie auf dem Bundestag gehisst worden wäre. Ich finde schon, dass es ein starkes und wichtiges Symbol ist.“
Queerbeauftragter weist auf tägliche Gewalt hin
Noch schärfere Kritik an den Äußerungen des Kanzlers kam vom Queerbeauftragten des Berliner Senats, Alfonso Pantisano: „Wenn die Würde des Menschen unantastbar sein soll, dann halten Sie sich endlich daran, Herr Merz!“, postete er auf Instagram. „Queere Menschen sind keine Zirkuspferde!“
Pantisano, SPD-Mitglied und offiziell Ansprechperson Queeres Berlin der Landesregierung, findet das inakzeptabel: „Ich bin fassungslos. Nein, falsch – ich bin wütend. Maßlos. Und traurig“, formulierte er. „In einem Land, in dem queere Menschen täglich beleidigt, bespuckt, getreten, ins Krankenhaus geprügelt werden, erklärt Friedrich Merz also das Symbol unseres Überlebens, unseres Widerstands, unserer Hoffnung zu einer lächerlichen Zirkusnummer.“
„Wer so spricht, gießt Öl ins Feuer des Hasses. Wer so spricht, macht sich mitschuldig an der Verrohung der Gesellschaft“, kritisierte Pantisano. „Wer so spricht, legt das rhetorische Pflaster für die nächste zusammengeschlagene Drag Queen, für den nächsten bedrohten CSD-Stand, und wenn es ganz schlimm kommt, auch für den nächsten Toten.“
Regenbogenfahne steht für Vielfalt und Toleranz
Die queerpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Wiebke Neumann, sagte, die Regenbogenfahne werde aktuell angegriffen, heruntergerissen, für Hass und Gewalt genutzt. „Wenn dem Bundeskanzler zu diesem Thema als Erstes ein Zirkuszelt einfällt, ist das unwürdig und sagt leider viel über sein Weltbild aus.“
„Wer dieses wichtige Symbol ins Lächerliche zieht, hat nichts verstanden“, kritisierte Neumann. An Clubs, Kirchen und vielen anderen Orten werde die Regenbogenfahne angegriffen. „Ich lade alle, die die demokratischen Errungenschaften für queere Menschen infrage stellen oder die Angriffe auf sie verharmlosen, gerne ein, mit den Betroffenen direkt zu sprechen.“ Hier brauche es Solidarität statt Ignoranz.
Die Regenbogenfahne steht für die Vielfalt und das Miteinander, das am CSD gefeiert wird. Ebenso wird an dem Tag der Unterdrückung von homosexuellen, bisexuellen und Transgender-Menschen gedacht – speziell mit Blick auf die Stonewall-Unruhen in der Christopher Street 1969 in New York.