Beim kürzesten Gipfel der Geschichte der Nato geht es vor allem um einen: Donald Trump. Seinen Forderungen kommt das Verteidigungsbündnis weit entgegen. Die Presseschau.
Die Staats- und Regierungschefs der Nato haben bei ihrem Gipfel in Den Haag eine „historische“ Erhöhung ihrer Verteidigungsausgaben beschlossen und sich ihre gegenseitige Solidarität versichert. Die Nato-Partner verpflichteten sich am Mittwoch, bis 2035 mindestens fünf Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung auszugeben. In der Gipfelerklärung bekräftigten sie zudem ihr „unumstößliches Bekenntnis zur kollektiven Verteidigung“ – nachdem US-Präsident Donald Trump zuvor mehrdeutige Aussagen zum entsprechenden Artikel Fünf des Nordatlantikvertrags gemacht hatte.
So kommentieren Medien die Inszenierung des Nato-Gipfels
„Badische Zeitung“: „Bis auf Weiteres kann die Freiheit in Europa aber nicht ohne die – vor allem nukleare – Abschreckung durch die USA gegen ein bedrohliches Russland verteidigt werden. Der Preis für Trumps Wohlwollen ist, ihn wie ein Kind überschwänglich für seinen Teil der gemeinsamen Sandburg zu loben, damit er den Bau nicht zertrümmert. Das ist diplomatische Drecksarbeit. Der Lohn: Die Nato schlägt mit diesem kürzesten Gipfel ihrer Geschichte einen langen Weg des Wandels ein. Gelingt das, ist es die Geburtsstunde einer neuen Nato, eine Rettung der Stärke bei der Wahrung von Frieden in Europa.“
„Neue Osnabrücker Zeitung“: „Damit, dass es den Europäern mit dem Nato-Gipfel vorerst gelungen ist, Trump bei der Stange halten, gewinnen sie Zeit, sich auf eine veränderte Zukunft einzustellen. Tatsächlich wissen sie aber auch nach dem jüngsten Bündnis-Treffen noch nicht wirklich, in welchen Schritten der US-Rückzug aus Europa geschieht. Derzeit ist das Pentagon dabei, das globale US-Engagement zu analysieren und entsprechende Handlungsempfehlungen zu erstellen. Wer weiß, was also noch kommt. So mag das Ergebnis des Nato-Gipfels auf den ersten Blick zufriedenstellend erscheinen – eine Garantie für eine langfristig fruchtbare transatlantische Zusammenarbeit ist es nicht.“
„Südwest Presse“: „Womöglich ist Donald Trump selbst etwas erstaunt, wie glatt es am Ende lief für seine Fünf-Prozent-Forderung. Ab jetzt wird diese Fünf die alles dominierende Zahl in der Allianz sein, die einigen Mitgliedstaaten noch massive Probleme bereiten dürfte. Mal sehen, ob sich die Nato mit der Erfüllung des Trump-Wunsches auch dessen dauerhaftes Wohlwollen für die Belange des Bündnisses gesichert hat. Aber nur um jede Provokation zu vermeiden, muss man noch lange nicht den gesamten Gipfel in Den Haag zu Trump-Festspielen inklusive königlichem Abendessen und superkurzer Sitzungszeit umgestalten. Vor allem aber hätte sich Generalsekretär Mark Rutte seine kriecherische Textnachricht sparen können, selbst wenn sie ironisch gemeint gewesen sein sollte. Etwas mehr Selbstachtung darf sich die Nato schon trauen. Das würde vermutlich sogar Trump gefallen.“
„Augsburger Allgemeine“: „Europa unternimmt diese Kraftanstrengung nicht für Trump, sondern aus eigenem Interesse. Die Häme darüber, dass nicht nur Nato-Chef Mark Rutte Trump beim Gipfel fast schon devot hofierte, ist verständlich. Doch die Situation ist, wie sie ist. Die Europäer haben sich in den letzten Jahrzehnten sehenden Auges in die militärische und diplomatische Abhängigkeit von den USA manövriert. Die Beschlüsse von Den Haag bieten die Chance, dieses ungesunde Verhältnis zu verändern.“
„Rhein-Zeitung“: „Man kann Trumps Reaktionen nicht vorhersagen – so positiv ein Treffen oder ein Gipfel auch verlaufen sein mag. Und so bekräftigt etwa Kanzler Friedrich Merz (CDU) ein ums andere Mal, dass die Mitgliedsstaaten die starke Erhöhung der Verteidigungsausgaben nicht verfolge, um Trump oder den USA einen Gefallen zu tun. Sondern, weil man die eigenen Fähigkeiten ausbauen müsse, um einen möglichen Angriff Russlands abwehren zu können. Diese Gefahr ist in Den Haag bei jedem Gespräch ein Thema, wird als real eingeschätzt. Und so schwingt über diesem Nato-Gipfel die Frage mit: Wie kann Europa schnell selbst aufrüsten? So schmerzhaft es auch sein mag. Die Nato war vielleicht nicht ‚hirntot‘, wie der französische Präsident Emmanuel Macron es vor ein paar Jahren mal ausdrückte. Aber sie war nachlässig. Das rächt sich jetzt – und wird alle Partner mindestens viel Geld kosten.“
„t-online“: „Es war offensichtlich: Bei diesem Gipfel ging es im Kern nur darum, die Vorgaben Washingtons zu erfüllen und Trump zu schmeicheln, um die Amerikaner in der Allianz zu halten. Ohne die USA wäre die Nato nicht mehr das mächtigste Militärbündnis der Welt. Ein Land hingegen kam in Den Haag unter die Räder: Trump verhinderte persönlich, dass sich der Gipfel mit der Ukraine beschäftigte. Die oft beschworene Nato-Mitgliedschaft des überfallenen Landes ist praktisch vom Tisch. Präsident Wolodymyr Selenskyj durfte im Gegensatz zum Nato-Treffen im Vorjahr – damals noch unter der Führung Joe Bidens – diesmal nur am Katzentisch Platz nehmen. Da können die Europäer Merz, Macron, Starmer und Co. noch so oft ihre Unterstützung der Ukraine betonen. Wenn Trump nicht mitspielt, ziehen sie den Kürzeren.“
Die Nato ist nicht geeint in ihrer Russland-Strategie
„Handelsblatt“: „Für 29 Alliierte besteht die Hauptaufgabe der Nato darin, Russland abzuschrecken. Die populistisch regierten USA, Ungarn und die Slowakei teilen diese Auffassung, wenn überhaupt, nur eingeschränkt. Gerade Trump sieht in Kremlherrscher Wladimir Putin keinen imperialistischen Kriegsverbrecher, sondern einen potenziellen Partner. (…) Nur mit großen Mühen gelang es den Unterhändlern, einen Halbsatz in das Abschlussdokument hineinzuschleusen, der die „langfristige Bedrohung durch Russland“ erwähnt. Eine eigentlich geplante Russlandstrategie hat die Nato auf unbestimmte Zeit verschoben (…). Damit steckt das Bündnis in der paradoxen Situation, dank der Neumitglieder Finnland und Schweden sowie drastisch steigender Verteidigungsbudgets einerseits so stark dazustehen wie seit Jahrzehnten nicht – und andererseits durch einen Fundamentaldissens strategisch geschwächt zu sein.“
„Volksstimme“: „Der große Führer aus Washington konnte beim Gipfel bei Laune gehalten werden. Zeremonienmeister Mark Rutte hatte das Programm straff gehalten, weil Donald Trump lange Debatten hasst. Dazu hat der königliche Glanz von Willem-Alexander und Gattin Maxima den US-Präsidenten mit beschienen. Der Befehlsempfang des neuen Rüstungszieles für die Repräsentanten der Nato-Staaten einschließlich Kanzler Friedrich Merz ist dann glatt über die Bühne gegangen. Die von Trump vorgegebenen fünf Prozent vom Bruttoinlandsprodukt haben die Damen und Herren klaglos geschluckt. Von 1,5 Prozent des künftigen Beitrages müssen nicht Panzer oder Drohnen gekauft, sondern darf die Infrastruktur für Militärzwecke auf Vordermann gebracht werden. In Deutschland können sich Brückenbauer und Bahnsanierer also auf Extra-Milliarden freuen.“
„Stuttgarter Nachrichten“: „Brutal aufgerüttelt von Donald Trump und Wladimir Putin müssen die Europäer realisieren, dass sie selbst für ihre Sicherheit sorgen müssen. Das bedeutet nicht, dass die USA innerhalb der Nato ersetzt werden könnten, aber das Bündnis kann durch europäische Fähigkeiten ergänzt werden. Diese Aufrüstung wird sehr teuer werden und Jahre dauern, aber sie wird am Ende auch ein Gewinn für Washington sein. Der Grund: Die gesamte Verteidigungsallianz würde gestärkt und die USA können sich im Gegenzug mehr auf den Indopazifik konzentrieren, wo die Rivalität mit China immer deutlicher zu Tage tritt. Wie das Gezerre mit Spanien um die Fünf-Prozent-Marke zeigt, haben allerdings noch nicht alle Europäer die Zeichen der Zeit richtig gelesen. Tatsache ist, dass die Rüstungsausgaben nicht steigen, um Donald Trump einen Gefallen zu tun, sondern um durch eine glaubhafte Abschreckung den Frieden und die Freiheit in der eigenen Heimat Europa zu garantieren.“
„Nürnberger Nachrichten“: „Dieser Gipfel ist eine Fortsetzung der One-Man-Show, die Trump so gerne inszeniert. Etwas mehr Selbstbewusstsein der Europäer wäre deshalb wünschenswert gewesen. Zwar ist es unstrittig, dass die vom Autokraten Putin eingeläutete ‚Zeitenwende‘ mehr Militärausgaben nach sich ziehen muss, doch sich bedingungslos auf das Fünf-Prozent-Ziel einzulassen, hätte nicht sein müssen. Es gibt, auch wenn das Trump egal sein mag, hinreichend viele Baustellen, die nichts mit Wettrüsten zu tun haben.“