In der Diskussion um eine mögliche Wiedereinführung der Wehrpflicht hat sich nun auch der frühere Bundesaußenminister und Vizekanzler Joschka Fischer (Grüne) für eine Rückkehr zur Wehrpflicht ausgesprochen. „Ich bin der Meinung, dass wir wieder eine Wehrpflicht brauchen. Der Personalbestand der Bundeswehr ist verdammt niedrig“, sagt er dem „Spiegel“ (Montag). Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) äußerte sich mit Blick auf die aktuelle Debatte positiv über seine eigenen Erfahrungen als Wehrpflichtiger.

Fischer sagte, sein einstiges Einstehen gegen die Wehrpflicht sei „aus heutiger Sicht“ ein Fehler gewesen. „Für die eigene Freiheit muss man einstehen. Wenn es darauf ankommt, auch kämpfen.“

Der bislang einzige Kanzler, der seinen Wehrdienst bei der Bundeswehr geleistet hat, ist Merz. „Die Kameradschaft war groß, die Gemeinschaft hat uns zusammengeschweißt“, sagte der Bundeskanzler der „Bild am Sonntag“. „Wir hatten das gute Gefühl, unseren Beitrag in einem großen Räderwerk zu leisten.“ Nach Regierungsangaben leistete Merz vom 1. Juli 1975 bis zum 30. September 1976 seinen Wehrdienst an den Bundeswehr-Standorten Clausthal-Zellerfeld, Warendorf, Kusel und Dülmen.

Die neue Bundesregierung aus Union und SPD plant bislang, einen Wehrdienst einzuführen, der zunächst auf Freiwilligkeit basiert. Nach Ansicht von Fischer reicht dieses Modell jedoch nicht aus: „Wenn wir abschreckungsfähig werden wollen, wird das ohne eine Wehrpflicht nicht gehen“, sagte er. Diese solle auch für Frauen gelten. „Beide Geschlechter sind gefragt. Entweder wir haben die Gleichstellung, oder wir haben sie nicht.“

Auch der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag, Thomas Röwekamp (CDU), hatte erklärt, eine Wehrpflicht müsse für Männer und Frauen gleichermaßen gelten. „Von den rund 700.000 Schulabgängern entscheiden sich zurzeit weniger als zehn Prozent für freiwillige Dienste und nur 10.000 für den Dienst in der Bundeswehr“, sagte Röwekamp der „Rheinischen Post“. „Wer sein Leben in Freiheit und Wohlstand führen will, kann sich nicht nur auf das Engagement anderer verlassen.“ Daher fordere er „die Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht – für Männer und Frauen gleichermaßen“.

Henning Otte (CDU), der neue Wehrbeauftragte des Bundestags, hatte zuletzt angekündigt, für einen Pflichtdienst einzutreten, falls die Bundeswehr über den freiwilligen Wehrdienst nicht ausreichend personell aufgestockt werden könne. Der Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) hatte ebenfalls erklärt, dass eine Rückkehr zur Wehrpflicht unter bestimmten Voraussetzungen möglich sei.

SPD-Fraktionschef Matthias Miersch lehnte eine Rückkehr zu einem Pflichtdienst hingegen ab. „Im Koalitionsvertrag ist eindeutig festgelegt, dass wir auf Freiwilligkeit setzen“, sagte er der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ (NOZ). „Über eine Wehrpflicht kann man dann gegebenenfalls in der kommenden Legislaturperiode verhandeln, in dieser nicht.“ Aktuell wären dafür ohne „auch nicht annähernd ausreichend Ausbildungskapazitäten vorhanden“.

Auch ohne Zwang sei das von Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) genannte Ziel von 60.000 zusätzlichen Soldaten „mittelfristig“ zu erreichen, sagte Miersch weiter. Die Kernfrage laute für ihn: „Wie sorgen wir dafür, dass der Dienst attraktiv wird?“ Dafür habe es bisher bereits an der notwendigen Ausrüstung gefehlt. Jetzt aber könne Pistorius investieren und junge Leute anders ansprechen.

Klar gegen eine Wehrpflicht wandte sich der Linken-Verteidigungspolitiker Ulrich Thoden. Seine Partei sehe sich hier als Anwalt „der jüngeren Jahrgänge, die in großer Mehrheit eine Wiedereinführung der Wehrpflicht ablehnen“, erklärte er in Berlin. Thoden warf Union und SPD einen „Aufrüstungswahn“ vor.

Für die Einführung einer neuen Dienstpflicht unter Einschluss auch von Frauen wäre eine Grundgesetzänderung erforderlich. Dafür würden im Bundestag voraussichtlich auch die Stimmen der Linken benötigt.

In der Bundesrepublik Deutschland wurde die Wehrpflicht 1956 eingeführt, in der DDR 1962. Seit 2011 ist sie ausgesetzt, aber formal nicht abgeschafft. In der Zeit der Weimarer Republik gab es aufgrund von Auflagen des Versailler Friedensvertrages keine Wehrpflicht, wohl aber von 1935 bis zum Kriegsende 1945 in der Zeit des Nationalsozialismus.