Die neuen KI-Funktionen in der Google-Suche spalten das Netz. Ein Experte hält die Änderungen für alternativlos – und sieht schwarz für Verlage und Website-Betreiber

Es ist in diesen Tagen das beherrschende Gesprächsthema der Tech-Welt: Google baut seine mächtige Suchmaschine radikal um – und setzt dafür alles auf die Karte Künstliche Intelligenz. Firmenchef Sundar Pichai stellte am Dienstag auf der hauseigenen Entwicklerkonferenz einen neuen „AI Mode“ vor. Er soll komplexere Anfragen vergleichbar mit dem Antlitz von Chat-Tools wie ChatGPT oder Perplexity beantworten können. Für Nutzer in den USA ist das Feature bereits verfügbar. 

Die Vision ist, dass man statt einer Liste von Weblinks nun ausführlichere Antworten bekommt und auch weitere Nachfragen stellen kann. Sucheingaben der Nutzer werden dazu in verschiedene Einzelaspekte aufgeteilt, die Software recherchiert jeweils separat im Hintergrund. Pichai sprach von einer „völligen Neugestaltung der Internetsuche“. Den ersten sichtbaren Schritt in diese Richtung hatte Google bereits vor Wochen gemacht. Seitdem werden Ergebnisse durch eine KI zusammengefasst und oberhalb der anderen Sucherergebnisse angezeigt. 

„Google steht massiv unter Druck“

Bei Anlegern kamen die Ankündigungen gut an. Die Aktien der Google-Mutter Alphabet stiegen zeitweise um fast fünf Prozent auf 171,27 Dollar und waren damit so teuer wie seit Anfang März nicht mehr. Dabei geht der Konzern mit der KI-Offensive ein enormes Risiko ein. Google verdient sein Geld vor allem mit Werbung im Umfeld der Websuche. Umfangreiche Änderungen am Kernprodukt können dem Geschäftsmodell empfindlich schaden.

Für den Suchkonzern scheint der Schritt dennoch alternativlos. „Google steht massiv unter Druck“, sagte Georg Zöller, Mitbegründer des Centre for AI Leadership (C4AIL) in Singapur zu Capital. Es gehe nicht nur um technologische Innovation und Marktanteile, sondern auch darum, die Oberhand bei den Versprechen rund um Künstliche Intelligenz zu behalten. „Wir erleben derzeit die größte Investitionswelle aller Zeiten in KI, ohne dass bisher klar ist, ob sich das überhaupt auszahlt. Unternehmen wie Google müssen jetzt Wege finden, ihren Investoren zu zeigen, dass sie mithalten – egal wie“, so Zöller.

Zu spüren bekommt Google die Konkurrenz besonders von Start-ups wie Perplexity oder auch OpenAI. Sie halten Nutzer mit ihren KI-gestützten Suchfunktionen zunehmend von der bekannten Websuche fern. Dass die Tools teils irreführende oder gar falsche Antworten liefern, ändert laut Zöller nichts. „Es zählt momentan nicht Genauigkeit, sondern Geschwindigkeit“, sagte der langjährige Facebook-Entwickler. So nehme Google bei seinen KI-Funktionen sogar selbst Fehler in Kauf. Schon die seit Längerem verfügbaren KI-Zusammenfassungen in den Suchergebnissen produzierten „regelmäßig Unsinn“. 

Google-KI: Droht Websites das Aus?

Mit Blick auf Betreiber von Websites zeigte sich Zöller regelrecht alarmiert. Für den KI-Experten steht nichts weniger auf dem Spiel als das Fundament des Internets, wie wir es seit dem Web 2.0 kennen. Dieses habe auf einem einfachen Prinzip basiert: Menschen erstellen Inhalte, Nutzer besuchen die entsprechenden Seiten, und durch Werbung entsteht ein Geschäftsmodell. „Dieses Modell wurde durch KI zerstört“, so Zöller. „Wenn KI-Modelle nun Inhalte automatisch erfassen, komprimiert wiedergeben und dabei keine Nutzer mehr auf die ursprüngliche Seite führen – warum sollte dann noch jemand eine Website besuchen?“

Bei der Produktpräsentation von Google am Dienstag war das Thema der große Elefant im Raum. CEO Pichai äußerte sich dazu allerdings nicht. Er sprach lediglich davon, dass die „Qualität“ der Klicks durch KI-Funktionen steige – etwa messbar an der längeren Verweildauer auf Zielseiten.

Erste Verlage in Aufruhr

Für Zöller ein zweifelhaftes Argument. Dass die Bedeutung von Websites abnehme, sei „kein theoretisches Risiko“, sondern passiere bereits. „OpenAI beantwortet heute Fragen, für die man früher ein Buch gekauft oder einen Artikel gelesen hätte. Google plant dasselbe mit seinem KI-Modus.“ Dabei würden die Inhalte entwertet, ohne dass Ersteller davon profitierten. „Die KI sieht keine Werbung – also verdienen auch die Inhalteanbieter nichts mehr“, bringt Zöller das Problem auf den Punkt.

Besonders für Verlage mit journalistischen Bezahlangeboten könne dies weitreichende Folgen haben. Die US-Verlegerorganisation News/Media Alliance kritisierte Googles Umstellungen bereits scharf. Der Konzern entziehe den Medien Reichweite und Einnahmen – und stehle ihre Inhalte, so der Vorwurf.

Zöller plädierte deshalb für rechtliche und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, um den Wert von Inhalten im Netz zu schützen oder gar zu monetarisieren. Er verwies auf das Beispiel China, wo es bereits professionelle Strukturen für den Handel mit Daten gebe, vergleichbar mit Rohstoffen. In westlichen Ländern sei dies bislang nicht der Fall.