Der Politiker Christian Lindner ist Geschichte. Er war oft irritierend, als Person aber interessant. Und es gibt einen Grund, seinen Abschied zu bedauern, findet unser Autor.
Neulich bin ich extra zum Parteitag der FDP gefahren, um mir die letzte Rede von Christian Lindner anzuhören. Ihm hat das bestimmt nichts bedeutet, mir aber schon, weil ich ihn zwar politisch oft irritierend, aber als Person interessant fand. Außerdem kann man gegen Lindner politisch einiges vorbringen, und viele werden sagen, gut, dass er endlich weg ist. Aber reden, das konnte er.
Christian Lindner polarisierte. Das hat er von Guido Westerwelle gelernt
Das erste Mal fiel mir Lindner 2011 so richtig auf, da war er FDP-Generalsekretär unter Guido Westerwelle. Beim Dreikönigstreffen in Stuttgart hielt er eine Rede, in der er sämtliche Projekte des technischen Fortschritts aufzählte, die von den Grünen anfangs bekämpft worden seien. Das reichte von Verkehrsvorhaben über Bildschirmtext, ISDN-Telefone und vernetzte Arbeitsplätze. Es war die schiere Polemik, aber großartig vorgetragen. Der damalige FDP-Berichterstatter der „Berliner Zeitung“, Steffen Hebestreit, nannte die Rede sogar „rhetorisch brillant“. Er konnte nicht ahnen, dass er als Regierungssprecher knapp 14 Jahre später eine andere Rede mit vorbereiten würde, nämlich die, mit der sein Chef Olaf Scholz dem Finanzminister Lindner den Laufpass gab.
Lindner hat oft polarisiert, von Guido Westerwelle hat er die Provokation gelernt. Was dem einen die „spätrömische Dekadenz“, war dem anderen die „Gratismentalität“. Lindner begriff Politik auch als Spiel, er war risikofreudig, feierte große Erfolge und kassierte harte Niederlagen. Wie sehr er sich trotzdem stets gefiel, beschreibt eine typische Szene, die ich einmal im Bundestags-Restaurant beobachten konnte. Da saß Lindner mit Rolf Mützenich. Und während der SPD-Fraktionschef sich angestrengt über die Tischplatte beugte, lehnte Lindner lässig in seinem Stuhl und begleitete seine Worte mit großen Gesten.
Ein enger Vertrauter Lindners sagte mir mal, es gehöre zum Job-Profil eines FDP-Vorsitzenden, von wenigen geschätzt, von vielen verachtet und von manchen gehasst zu werden. Lindner könne damit gut umgehen. Der Küchenpsychologe in mir hat sich gefragt, ob das sein könne oder ob Lindner nicht auch gern beliebt gewesen wäre. Wenigstens mal ein bisschen.
In all den Jahren bin ich Lindner immer mal wieder begegnet. Es lief stets ähnlich ab: Dieser Mann formuliert prägnant, man kann ihm gut zuhören, er ist unterhaltsam, schnell im Kopf. Aber wenn das Gespräch vorbei ist, weiß man nicht recht, was das nun alles soll, was Attitüde war und was Ernst. Und eines hat sich über die Jahre schon geändert: Der Ton wurde schärfer, sein Humor kam immer öfter als Sarkasmus daher.
Das Verhältnis zwischen Christian Lindner und dem stern war in den vergangenen Jahren belastet, offenbar weil er fand, dass unsere Berichterstattung über seine Hochzeit 2022 auf Sylt seine Privatsphäre verletzt habe. Lindner ärgerte sich dem Vernehmen nach auch über andere Medien, weil sie seine Ehe mit einer inzwischen ehemaligen Journalistin aus seiner Sicht unangemessen thematisierten.
In seiner Abschiedsrede auf dem Parteitag hat Lindner diesen Konflikt in bemerkenswerten Worten angedeutet, die er direkt an seine Frau richtete: „Du musstest das Leben eines Politikers mitführen, obwohl du mich geheiratet hast und nicht die FDP.“ Dafür sei er ihr dankbar. Den Romantiker in mir hat das erreicht.
Auch der Rest der Rede vermittelte übrigens den Eindruck: Da ist einer froh, dass er es hinter sich hat.