Die Grundsteuerreform ist gründlich misslungen, wie neue Zahlen zeigen. Richter und Politiker sollten noch mal ran.
2018 entschied das Bundesverfassungsgericht: Die deutsche Grundsteuer auf Immobilien ist verfassungswidrig. Eine Reform musste her. Am 27. Juni 2019 hat der damalige Bundesfinanzminister Olaf Scholz den Deutschen im Bundestag versprochen: „Durch die Reform soll das Steueraufkommen insgesamt nicht steigen.“ Das heißt: Der Fiskus wird zwar die Immobilien neu bewerten und die Abgaben gerechter verteilen. Die Taschen vollmachen werde er sich aber nicht.
Mit der Reform wurde ein wichtiges Gebot der Republik übergangen: die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse. Denn durch eine Grundgesetzänderung dürfen nun die Länder eigene Grundsteuergesetze erlassen, und jeder tut das auf seine Art und Weise. Seit dem 1. Januar 2025 gehen die neuen Grundsteuerbescheide an die Immobilienbesitzer raus. Und es zeichnet sich ab, dass auch die jetzigen Verfahren kaum den Vorstellungen des höchsten Gerichts einer gleichheitsgerechten Besteuerung entsprechen dürften.
Die Grundsteuer steigt für zwei Drittel der Betroffenen
Denn die Bescheide fallen mehrheitlich heftig aus, wie eine Umfrage von Wiso-Steuer aufgedeckt hat. Der Hersteller von Steuersoftware hat 46.000 Fälle ausgewertet, die weitgehend die deutsche Bevölkerungsstruktur abbilden. Das Ergebnis: Rund zwei Drittel der Betroffenen zahlen deutlich mehr als zuvor. Nur gut ein Viertel wird dagegen entlastet, bei knapp sieben Prozent bleibt es beim Alten. Schon rechnerisch kann dieses Ergebnis unterm Strich niemals aufkommensneutral sein.
Heftig sind die Unterschiede zwischen den Ländern. Im Durchschnitt beträgt die Mehrbelastung der Eigentümer 84,5 Prozent. Aber in Schleswig-Holstein sind es nur 54,7 Prozent, während Berlinern 116,8 Prozent mehr aufgebrummt wird. Das liegt unter anderem daran, dass nicht alle Kommunen ihre Hebesätze so gesenkt haben, dass es zu einer Aufkommensneutralität führt.
36 Millionen Grundstücke und Gebäude falsch bewertet
Keine Frage, die Verfassungsrichter hatten recht: Es war notwendig, die 36 Millionen Grundstücke und Gebäude in Deutschland neu zu bewerten. Die Einheitswerte, die als Grundlage dienten, waren hoffnungslos veraltet. Man kennt es beispielsweise aus Großstädten: Ehemalige billige Arbeitersiedlungen sind hippe und beliebte, sündhaft teure Wohnviertel geworden. Mit der Wirklichkeit des Immobilienmarktes hatten die alten Sätze nichts mehr zu tun.
Manche frohlocken: Was soll schlecht sein an der höheren Grundsteuer, endlich werden die reichen Immobilienbesitzer zur Kasse gebeten! Aber das ist zu kurz gedacht. Die Grundsteuer ist eine Sachsteuer, keine versteckte Vermögenssteuer. Sie besteuert das Besitzen von Grundbesitz, unabhängig vom Wert des Gesamtvermögens einer Person. Außerdem trifft sie oft die Mieter hart, denn der Vermieter kann die Grundsteuer als „öffentliche Last des Grundstücks“ auf sie umlegen, was meist geschieht.
Beton-Millionäre trifft die neue Grundsteuer weniger
Wer also den Beton-Millionären an den Kragen will, sollte woanders abkassieren, etwa bei der Grunderwerbssteuer, der Erbschaftssteuer oder einer echten Vermögenssteuer. Gelehrte wie der Volkswirtschaftler Gerhard Graf halten die Grundsteuer auch in reformierter Form für nicht verfassungskonform, da sie weiter gegen das Gleichheitsgebot verstoße. Graf fordert sogar, sie komplett abzuschaffen, weil das Verfahren grundsätzlich unzeitgemäß sei.
Es wird auf jeden Fall dringend nötig sein, dass das Verfassungsgericht noch einmal auf die reformierte Grundsteuer schaut. Sie trifft ganz offenbar überproportional vor allem klassische Wohnformen wie Einfamilienhäuser oder Baugrundstücke, die gerade auch junge Familien zur Eigennutzung suchen. Die etablierten Villenviertel kommen dagegen vergleichsweise glimpflich davon.
Die Verfassungsrichter sollten noch mal ran
Schon in den vergangenen Jahren ist das Grundsteueraufkommen drastisch gestiegen, 2023 waren es 15,5 Milliarden Euro. Und so soll es offenbar weitergehen. Doch bislang haben bundesweit über sieben Millionen Eigentümer Einspruch gegen ihre neuen Grundsteuerbescheide eingelegt. Viele Musterklagen gegen das ländereigene Besteuerungsverfahren sind bereits anhängig. Es ist durchaus denkbar, dass Schwarz-Rot noch in dieser Wahlperiode einen weiteren, massiven Finanzbrocken bewältigen muss: durch eine Neubewertung, möglicherweise Rückzahlungen. Es wäre nur gerecht.