Schwarz-Rot in Berlin hat mit der zunächst geplatzten Kanzlerwahl den geplanten Start der neuen Bundesregierung verpatzt. Was sagen Ministerpräsident und Parteien in Hessen dazu?

Nach dem Scheitern von CDU-Chef Friedrich Merz im ersten Durchgang der Kanzlerwahl appelliert Hessens Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) an die Verantwortung der Bundestagsabgeordneten. „Wir erleben eine historische Stunde für unser Land. Deutschland braucht jetzt ein Votum der Verantwortung“, betonte Rhein, der auch CDU-Landeschef in Hessen ist.

„Nötig sind ein zweiter Wahlgang und ein Signal der Stabilität für unsere Demokratie. Die Menschen erwarten einen Politikwechsel für Deutschland. Dafür braucht es jetzt eine Kanzlermehrheit im Deutschen Bundestag“, mahnte Ministerpräsident Rhein. Wie die Deutsche Presse-Agentur aus Fraktionskreisen in Berlin erfuhr, sollte es tatsächlich noch heute einen zweiten Wahlgang im Bundestag geben – um 15.15 Uhr.

Claus: Lieber ein holpriger Start mit guter Regierung als umgekehrt

Auch Hessens CDU-Fraktionschefin Ines Claus hatte zuvor einen schnellen zweiten Wahlgang gefordert: „Lieber ein holpriger Start mit positiver Entwicklung und guter Regierung, als ein glänzender Start wie bei der Ampel mit vorzeitigem Ende.“ Claus ergänzte: „Die zukünftige Koalition hat eine Kanzlermehrheit. Jetzt sind alle gefordert, ihrer Verantwortung für Deutschland gerecht zu werden.“ Die Lösung der Probleme in Deutschland dulde keinen Aufschub und keine „Taktiererei“. 

Zu wenige Stimmen in geheimer Abstimmung

Merz war bei der Kanzlerwahl im Bundestag im ersten Wahlgang durchgefallen. Er erhielt in geheimer Abstimmung 310 von 621 abgegebenen Stimmen und damit 6 weniger als die nötige Mehrheit von 316. Die Koalitionsfraktionen CDU/CSU und SPD haben zusammen 328 Sitze im deutschen Parlament.

In Hessen regiert bereits Schwarz-Rot – genau die Konstellation, die Union und SPD auf Bundesebene noch anstreben. Die hessische SPD zeigte sich überzeugt, dass Partei- und Fraktionsführungen in Berlin ein geordnetes Vorgehen finden und festlegen werden. 

SPD: Lage ist sehr ernst

„Die Tatsache, dass nicht alle Fraktionsmitglieder der angestrebten Regierung hinter einem Kanzler Merz stehen, ist sehr ernst zu nehmen“, mahnten die hessischen Sozialdemokraten jedoch auch. Es brauche nun Professionalität, Verständigung und ein Miteinander. 

Hessens Grüne urteilten: „Heute ist kein guter Tag für unser Land. Mitten in einer Vertrauenskrise schafft Friedrich Merz es nicht, eine Kanzlermehrheit zu gewinnen.“ Wichtig sei, dass dieses Land baldmöglichst eine stabile Regierung bekomme. 

AfD: „18 Abweichler“

Hessens AfD-Fraktionschef Robert Lambrou sprach von „18 Abweichlern“ beim ersten Wahlgang für Merz. Das sei ein Führungsversagen und ein Misstrauensvotum. Lambrou ergänzte: „Die CDU rennt sich an ihrer eigenen Brandmauer wieder und wieder den Kopf ein und muss jetzt diese hochnotpeinliche Situation erklären, einen Koalitionsvertrag und ein Kabinett vorgestellt zu haben, aber keine Mehrheit für einen Kanzler.“ Im hessischen Landtag und Bundestag stellt die AfD jeweils die größte Oppositionsfraktion.

Die Gießener Politikwissenschaftlerin Dorothée de Nève sprach mit Blick auf Merz‘ Scheitern im ersten Wahlgang von „einem unmissverständlichen Warnsignal“. Dies sei Ausdruck der Unzufriedenheit – „nicht nur bei einzelnen Abgeordneten, sondern auch in beiden potenziellen Regierungsparteien. Dies spiegelt sich auch in den Umfragen“, sagte sie.

Politologin: Auch SPD-Chef Klingbeil beschädigt

Das Vertrauen in Merz als künftigen Kanzler sei gering. Und es gebe von unterschiedlichen Seiten viel Kritik an den Inhalten des Koalitionsvertrages und dem Prozess der Regierungsbildung. Der gescheiterte erste Wahlgang habe auch den SPD-Chef und designierten Vizekanzler Lars Klingbeil beschädigt, sagte die Professorin.