Kanzler Olaf Scholz hat sich als guter Verlierer erwiesen. Auch von der Kehrtwende seines Nachfolgers ließ er sich nicht provozieren. Ich hätte das nicht geschafft.

Neulich habe ich ein letztes Mal den Kanzler Olaf Scholz aus nächster Nähe in Augenschein genommen. Er trat beim Seniorentag in Mannheim auf. Scholz, 66 Jahre alt und abgewählt, traf Rentnerinnen und Rentner. Er hat selbst ein bisschen darüber gewitzelt, aber der Termin war schon lange verabredet und wäre eigentlich in den Wahlkampf gefallen, wenn nicht Scholz selbst vorgezogene Neuwahlen erwirkt hätte.

Olaf Scholz? Erstaunlich gut gelaunt, der Mann

Ich fuhr nach Mannheim, weil ich wissen wollte, ob man Scholz mit einigen Wochen Abstand noch etwas anmerkt von seiner schweren Wahlniederlage und dem, was danach passiert ist. Aber er erschien gut aufgelegt, hielt eine überraschend temperamentvolle Rede und beantwortete in einer Gesprächsrunde umstandslos einige Fragen. Als eine Anbieterin von Rikscha-Fahrten für Senioren das Recht älterer Menschen auf Wind in den Haaren beschwor, antwortete Scholz: „Wenn man denn noch Haare hat.“

Kommende Woche scheidet Olaf Scholz voraussichtlich aus dem Amt. Ich finde, er hat die Wochen seit der Wahl erstaunlich souverän gemeistert. Er führte als Kanzler die Geschäfte, ohne sich wichtig zu machen. Nach allem, was man hört, unterstützte er die Verhandlungen der künftigen Koalition und band seinen Nachfolger in wichtige Fragen ein. Olaf Scholz hat sich als guter Verlierer erwiesen, das ist heute bekanntlich schon ein Wert an sich.

Man muss sich noch mal klarmachen: Scholz hat das schlechteste Wahlergebnis der Sozialdemokratie seit Bestehen der Bundesrepublik zu verantworten. Er wollte wiedergewählt werden, klar. Die Wiederwahl ist für Kanzler fast wichtiger als die erste, weil beim ersten Mal vor allem regierende Parteien abgewählt werden. Bei der zweiten Wahl muss sich zeigen, ob man selbst das Vertrauen der Menschen gewonnen hat. Das kann Scholz von sich nicht behaupten.

Aber diese Niederlage ist nur das eine. Danach musste er mitansehen, wie Friedrich Merz die Politik machte, die er bei ihm bekämpft hatte; wie er Versprechen brach, die Verfassung änderte, Schulden aufhäufte. Merz bestätigte mit seiner Kehrtwende, was Scholz wochenlang über das Programm der Union gepredigt hatte: Die Finanzierung taugt hinten und vorne nichts.

Ich habe ein eher friedliches Gemüt, aber ich muss zugeben: An Scholz’ Stelle hätte mich über Merz’ Gebaren nach der Wahl die nackte Wut gepackt. Doch der geschäftsführende Kanzler gab nichts preis. Er saß stundenlang im Bundestag und hörte reglos zu, wie Merz seine Wählertäuschung schönredete. Scholz ist zu Recht immer mal wieder seine notorische Rechthaberei vorgehalten worden. Aber in dem Moment, da er im Ausmaß von einer Billion Euro Recht behalten hatte, schwieg er.

Ich hätte mit Scholz gern über all das gesprochen. Aber er hat Journalisten zuletzt weitgehend gemieden. Irgendwie verständlich. Vorbei ist vorbei. Fragt man seine Vertrauten, wie es ihm gehe, schildern sie glaubhaft einen gelassenen Mann, der mit sich im Reinen ist.

Ich musste dieser Tage an ein Gespräch mit Scholz vor zweieinhalb Jahren denken. Wir standen in Prag spätabends in sehr kleiner Runde, und der Kanzler redete über sein entspanntes Verhältnis zur Vergänglichkeit alles Irdischen, auch der politischen Macht, was zu akzeptieren einen wichtigen Unterschied zwischen Demokratien und autoritären Regierungen ausmache. Das muss man ihm lassen: Genau das lebt er jetzt vor.