Trennungen, Babys und Baufinanzierungen – Freundschaften verändern sich, wenn Lebenswege auseinandergehen. Unsere Autorin fragt sich: Wie können Verbindungen trotzdem halten?

Ich habe zum ersten Mal richtig begriffen, dass sich meine Freundschaften verändern, als ich mich im letzten Jahr getrennt habe – und an diesem Abend keine meiner engsten Freundinnen mit Sekt und Taschentüchern vor meiner Tür stand. Sie waren im Ausland mit ihrem Partner, hatten gerade Kinder bekommen oder waren beruflich in einer anderen Stadt. Ich saß in meiner Wohnung und fühlte irgendwas zwischen Trauer und Bockigkeit, wie ein kleines Mädchen, das die Arme verschränkt, ihre Unterlippe vorschiebt und nicht verhindern kann, dass ihr Tränen über die Wange laufen. Ich war zu stolz, eine von ihnen zu bitten, zu mir zu kommen, ich sagte, es sei okay für mich, alleine zu sein und hoffte inständig, dass sie es durchschauen und trotzdem kommen würden. Ich wollte nicht bedürftig sein, aber ich war es.

Svenja Napp hat Germanistik und Kulturwissenschaften in Rostock und Lüneburg studiert und lässt sich zur Sexual- und Paartherapeutin fortbilden. Für den stern schreibt sie die Kolumne „Schamlos“ über Liebe, Sexualität und Partnerschaft.
© Carolin Windel

Als ich eine dieser Freundinnen nach zwei Wochen anrief und ihr vorsichtig erzählte, dass ich sie in der Zeit gebraucht hätte, japste sie ins Telefon: „Zwei Wochen ist das schon her?! Oh Gott! Ich war so im Stress!“ Und ich dachte: Ach so, stimmt ja. Das Leben geht weiter. Nur halt in unterschiedliche Richtungen.

Alles gut, bis die Männer kamen

Ich bin jetzt 33 Jahre alt, und es gibt zwei Phasen, in denen die Freundschaften in meinem Leben auf die Probe gestellt wurden. Die erste kam mit der ersten ernsthaften Verliebtheit. Meine beste Freundin und ich waren damals unzertrennlich – wir sahen uns fast jeden Tag, fuhren zusammen zur Schule, in den Urlaub und telefonierten trotzdem ständig, weil wir dringende Dinge besprechen mussten. Meine Mutter schüttelte oft den Kopf: „Was habt ihr euch denn bitte noch zu erzählen?“ Antwort: Alles. Wirklich alles. Bis dann die Jungs kamen. Natürlich hatten wir uns geschworen, uns niemals wegen eines Typen zu streiten – wir waren ja nicht blöd. Spoiler: Wir waren blöd. Erst verliebte ich mich. Dann sie. Dann er sich in sie. Dann er sich in mich. Drama, Drama! Und als wir endlich beide in festen Beziehungen waren, sahen wir uns seltener, riefen weniger an, lebten plötzlich auch ohneeinander. Unsere Freundschaft hielt – aber sie hatte ihre Unschuld verloren.

Jetzt stecke ich mitten in Phase zwei: die Zeit, in der alles, wirklich alles, darauf hindeutet, dass man nun wirklich erwachsen ist. Freundinnen bekommen plötzlich Babys (nein, neun Monate waren nicht genug Zeit, um mich darauf vorzubereiten), sie denken über Häuser nach, planen Baufinanzierungen. Und ich? Ich reise derweil mit meinem rostigen Bus, den ich gestern erst gegen einen Baumstumpf gesetzt habe, durch Südeuropa. Es stresst mich schon, wenn mein Kalender mehr als fünf Termine aufweist. Letzte Woche habe ich zweimal vergessen, meinen Hund zu füttern (ihm geht es gut).

Zwischen meinen Freundinnen fühle ich mich manchmal wie ein Alien, das sich auf den falschen Planeten verirrt hat. Ein Alien, das keine Ahnung hat, was an einem Wolle-Seide-Body so aufregend ist, aber sehr wohl erklären kann, warum ein Tantra-Abend plötzlich zu Tränenausbrüchen führt. Ich bin die Freundin, die zwischen Kita-Gesprächen und Hausbau-Updates von schamanischen Zeremonien in Portugal berichtet. Die Exotische. Die Unverständliche. Die „coole Tante“ mit den abgedrehten Hobbys.

Manchmal lache ich darüber. Manchmal fühlt es sich auch einfach nur einsam an. Weil es in diesen Momenten so klar ist, dass ich meinen Weg alleine gehe, zumindest für ein Stück. Und dass meine engsten Freunde nicht mehr alles verstehen, was mich bewegt. 

Freundschaft heißt, Unterschiede auszuhalten

Der Psychotherapeut Wolfgang Krüger sagt: Freunde spiegeln uns. Sie zeigen uns unsere eigene Bedeutung im Leben. Und vielleicht ist genau das der wunde Punkt: Wenn die Leben auseinandergehen und das Leben der anderen plötzlich gesellschaftlich als „wichtiger“ erscheint – Familie, Kinder, Sicherheit –, dann kann das den eigenen Selbstwert ins Wanken bringen. Bin ich weniger bedeutsam, weil mein Leben anders aussieht?

Nein, natürlich nicht. Die Aufgabe besteht darin, sich treu zu bleiben und diese Unterschiede auszuhalten. Es auszuhalten, wenn meine Freundinnen über Kita-Plätze diskutieren und ich über andere Orgasmus-Formen philosophiere. Und gemeinsam zu lachen, wenn eine Freundin liebevoll stöhnt: „Ich weiß gar nicht mehr, wann wir zuletzt Sex hatten.“ Es auszuhalten, dass sie nicht immer alles verstehen. Und ich auch nicht. Dass unser Leben sich nicht mehr anfühlt wie zwei verschiedene Kapitel derselben Geschichte, sondern eher wie zwei parallele Romane, die sich manchmal noch berühren.

Und ja, es auch auszuhalten, dass da eine Einsamkeit ist. Eine Trauer über das, was fehlt. Über eine Beziehung, die zerbrochen ist, über diesen Platz in mir, der leer ist und sich manchmal noch wund anfühlt. Und wenn ich dann all diese Liebe in mir spüre, diese überschüssige Liebe, die gerne irgendwohin möchte – dann will ich sie manchmal einfach meinen Freundinnen überkippen. Mit einem „Nimm noch ein bisschen davon! Hier, ich hab genug!“ Aber oft ist da gar kein Platz – dann erst wieder in einer Woche, zu einem der fixen Termine, die wir jetzt ausmachen, um uns zu sehen, und die ich innerlich verabscheue, weil irgendein Teil von mir immer noch will, dass meine Freundinnen wie eine Art Fahrradgang spontan vor meiner Tür aufkreuzen wie zu Schulzeiten. Aber hey, ich glaub, ich werd jetzt mal erwachsen. 

Eine neues Wir

„Man sollte jede Woche mindestens einen Abend für Freunde reservieren“, sagte Krüger neulich in einem „Spiegel“-Interview. So wunderbar pragmatisch, logisch. Als der Redakteur ihn fragte, wie das überhaupt gehen soll, wenn Freunde Kinder haben, erzählte er von einem Freund, der Zwillinge bekommen hatte. Krüger bot ihm an, regelmäßig vorbeizukommen und mit den Kindern zu spielen. So hatte sein Freund freie Zeit – und sie blieben sich trotzdem nah. Sein Fazit: „Man muss die Freundschaft den neuen Gegebenheiten anpassen.“

Und ich glaube, genau darum geht es: Nicht daran zu klammern, wie es früher war. Nicht traurig festzuhalten am alten Wir. Sondern neugierig zu bleiben auf das neue Wir, das gerade entsteht. Ein Wir, das vielleicht manchmal wackelt, das sich verändert – aber trotzdem bleibt. Vielleicht heißt Freundschaft heute eben auch: sich ein Stück weit in die neue Welt des anderen hineinwagen. Babys auf dem Arm halten, Kinderzimmer herrichten, ulkige Spiele spielen und sich mitfreuen, auch wenn man keine Ahnung hat, worum es geht. Die Unterschiede aneinander lieben, über sie lachen, versuchen zu verstehen, es aufgeben, mit Saft anstoßen, große Ferienhäuser buchen, Gartenzäune bauen. Und das alles am besten nicht verpassen, weil man noch darauf wartet, von der Fahrradgang abgeholt zu werden.