Selbstliebe gilt als der ultimative Schlüssel zum Glück. Aber muss man sich wirklich selbst heiß und innig lieben?

Lieben Sie sich eigentlich selbst? Eine Frage, die uns seit einiger Zeit immer wieder begegnet. Sei es in sozialen Netzwerken, der Werbung oder etlichen Psycho-Ratgebern.

Selbstliebe ist mittlerweile DER Schlüssel zum Glück, so scheint es. Alleine auf Instagram findet man unter dem Hashtag „Selbstliebe“ 2,2 Millionen Beiträge, knapp 200 Posts bespielen den Hashtag „Selbstliebelernen“.

Kluge Köpfe suggerieren uns mit smart klingenden Sätzen, dass Selbstliebe ein lohnenswertes Ziel ist. Bestimmt haben Sie auch schonmal gelesen oder gehört, dass „Sie der wichtigste Mensch in ihrem Leben sind“ oder man „Sie nur lieben kann, wenn Sie sich selbst lieben“.

Wer eine Definition von Selbstliebe sucht, der findet im Netz vor allem einen Satz: „Selbstliebe ist die allumfassende Annahme seiner selbst in Form einer uneingeschränkten Liebe.“

Selbstliebe macht Druck

Frei übersetzt bedeutet das: Ganz egal, wie mies ich mich anderen Menschen gegenüber verhalte, wie sehr ich mir vielleicht manchmal selbst im Weg stehe und ob es Krankheiten oder Behinderungen gibt, die mir das Leben schwer machen – ich sollte mich im besten Fall ziemlich super finden. Und zwar immer und überall. Sie merken: Selbstliebe ist kein unbedenkliches Konzept.

Die vielen Menschen, die sich selbstbewusst mit all ihren Makeln und Fehlern auf Social Media in Szene setzen, lösen damit nämlich oft vor allem eines aus – immensen Druck.

Denn sie lassen federleicht aussehen, was für viele von uns eine tonnenschwere Angelegenheit ist: Die Beziehung zu uns selbst. Ein Fettnäpfchen hier, ein Speckröllchen zu viel dort, und schon ist die Selbstliebe scheinbar wieder in weite Ferne gerückt.

Veränderung als Teil des Lebens

Kurze rhetorische Frage an dieser Stelle: Muss ich es wirklich lieben, dass ich meistens unpünktlich bin, meinen Schlüssel mindestens einmal am Tag verlege und Schwierigkeiten damit habe, mich anderen Menschen zu öffnen?

Oder reicht es vielleicht aus, dass ich diese Seiten als Teil von mir akzeptiere – der mich zu dem Menschen macht, der ich nun einmal bin? Ein Mensch, der sich gerne weiterentwickelt und verändert? Weil es das ist, was wir alle im Laufe unseres Lebens eben tun – wir verändern uns.

Wer schon einmal verliebt war, der kennt sie, die berüchtigte rosarote Brille. Wenn wir anfangen, uns selbst durch diese Brille zu betrachten, dann werden wir handlungsunfähig.

Denn was wir innig lieben, was finden wir nun mal super so, wie es ist. Dadurch ist die Grenze zwischen Selbstliebe und Selbstverliebtheit allerdings auch verschwindend gering, vielleicht so dick wie ein Blatt Papier.

(K)eine Lobeshymne auf die Selbstliebe

Und überhaupt: Erzählen Sie doch mal jemandem mit einer chronischen Erkrankung, dass der Schlüssel zum Glück ist, sich selbst zu lieben mit all seinen Facetten. Gewagte These: Kaum einer ist innig verliebt in seine Krankheit. Allein die Akzeptanz der Tatsache, dass es im eigenen Körper etwas gibt, das das Leben einschränkt, ist ein riesiger Berg an Arbeit.

Zugegeben, eine Lobeshymne an die Selbstliebe, die finden Sie hier nicht. Dafür aber einen diplomatischen Gegenvorschlag: Selbstakzeptanz. Dabei geht es – anders als bei der Selbstliebe – darum, dass wir uns in unserer Gesamtheit wahrnehmen und akzeptieren.

Das heißt, wir kennen unsere positiven und negativen Seiten und finden das Gesamtpaket von uns als Mensch in Ordnung. Manche Charaktereigenschaften oder Körperstellen lieben wir vielleicht sogar, aber es ist für uns okay, dass wir mit anderen Bereichen hadern.

Selbstakzeptanz versus Selbstliebe

Das verschafft uns vor allem eines: Luft zum Atmen. Wenn wir uns selbst akzeptieren, ohne den Anspruch, uns immer lieben zu müssen, haben wir Raum zum Wachsen und die Möglichkeit, uns weiterzuentwickeln.

Wir geben uns selbst das „Go“ für Fehler und Widersprüche. Wir dürfen mal vernünftig und mal naiv, mal schnell und mal langsam und mal unterhaltsam und mal langweilig sein.

Verstehen Sie mich nicht falsch: Natürlich ist es total super, wenn man sich selbst wirklich liebt. Aber eben nur dann, wenn es aus tiefstem Inneren so ist und man nicht versucht, einem neuen gesellschaftlichen Idealbild von Glück hinterherzujagen, obwohl man sich eigentlich ganz anders fühlt.

Akzeptieren, wer man ist

Mit Selbstakzeptanz sieht das etwas anders aus – die ist tatsächlich fast alternativlos, wenn man langfristig gesund und glücklich sein möchte. Es geht dabei um ein positives Grundgefühl sich selbst gegenüber. Nur, wenn wir das verinnerlicht haben, dann setzen wir Grenzen, trauen uns auch mal „Nein“ zu sagen und gehen respektvoll mit unserer eigenen Zeit um.

Selbstakzeptanz kann außerdem wie ein Schutzschild wirken. Wenn wir mit uns selbst im Reinen sind, unsere Schwächen und Stärken kennen und akzeptieren, dann können uns auch Angriffe von außen weniger anhaben.

Die Wissenschaft ist sich mittlerweile einig, dass wir unseren Selbstwert durch Gedanken und Gefühle über uns selbst steuern können – und er nicht von der Meinung anderer abhängt.

Muss es eigentlich Selbstliebe sein?

Ja, Selbstakzeptanz kann man wirklich etablieren. Lernen klingt in diesem Zusammenhang vielleicht ein bisschen zu einfach. Denn es ist ein langer Prozess, sich selbst in allen Farben und Formen wirklich zu akzeptieren.

Und auch da gilt: Es ist okay, wenn es nicht auf Anhieb klappt. Im Vergleich zur hochgelobten Selbstliebe gibt uns die Akzeptanz allerdings die Freiheit, uns auch mal blöd zu finden.

Fakt ist: Wir alle meistern das Leben, so gut wir eben können und dafür haben wir natürlich auch Liebe verdient. Ob es aber jetzt wirklich unsere eigene sein muss, ist fraglich. Denn bei all dem Streben nach Selbstliebe und der Suche nach einer guten Verbindung zu uns selbst sollten wir eines nicht vergessen:

Die Welt besteht auch noch aus sehr vielen anderen liebenswerten Menschen. Und vielleicht sollten wir wieder anfangen, mehr Energie in unsere zwischenmenschlichen Beziehungen zu investieren und uns damit abfinden, dass wir uns selbst halt einfach „nur“ ganz gut finden.

Es ist okay, versprochen!

Und falls Ihnen das noch niemand so deutlich gesagt hat:

Es ist okay, sich nicht voller Selbstbewusstsein mit seinen Speckrollen am Bauch vor die nächste Kamera zu werfen, nur, um dann anderen Menschen zu zeigen, wie sehr einem die überschüssige Haut, die über seine zu enge Hose hängt, doch am Herzen liegt.

Es ist okay, mit sich selbst zu hadern, an manchen Tagen das eigene Spiegelbild zu verfluchen und sich manchmal sogar zu wünschen, etwas mehr wie XY zu sein.

Es ist okay, nicht jeden Millimeter seines Körpers zu feiern, keine Liebeslieder für seine Persönlichkeit zu schreiben und sich nicht absolut super zu finden. Man kann trotzdem ein gutes Leben führen.