Die zweitmächtigste Frau Deutschlands und der zweitmächtigste Mann der USA wollen, dass die Kirchen sich raushalten. Unsinn: Christus, Kirche und Papst sind hochpolitisch.
Manchmal kommt einfach alles zusammen. Am Ostersonntag besucht J. D. Vance den Papst – der kurz darauf stirbt. Am selben Tag sinniert Bundestagspräsidentin Julia Klöckner in der „Bild“ über die Zukunft der katholischen Kirche. Und die bietet endlich einmal Grund, stolz zu sein.
Im „Bild“-Interview wird Klöckner als „sehr gläubige“ und „geschiedene“ Frau vorgestellt, was nach der strengen Glaubenslehre der katholischen Kirche einen knackigen Widerspruch darstellt. Die Ehe, so viel sei verraten, ist nach katholischer Überzeugung ein Sakrament und kann nur durch den Tod geschieden werden. Aber was weiß schon ich. Ich bin weder „sehr gläubiger“ Katholik, noch ehemaliger Religionslehrer, noch Präsidiumsmitglied einer christlichen Partei, noch erkläre ich meiner Kirche, wie sie sich in politischen Fragen zu verhalten habe. Ganz im Gegensatz zu Julia Klöckner.
J. D. Vance wiederum ist protestantisch aufgewachsen und erst 2019 zum Katholizismus konvertiert. Seine Frau Usha, mit der Vance seit 2014 verheiratet ist, ist Hindu. Ein Umstand, den „sehr gläubige“ Katholiken möglicherweise erst unter Würdigung einer gehörigen Portion Weihrauch weggeatmet bekommen. Nun, was soll man sagen? Das Leben ist seltsam, mühsam, umständlich, verschlungen und vielfältig. Menschen können scheitern, Beziehungen können scheitern. Dass Klöckner wegen ihrer Scheidung nicht aus der Gemeinschaft verstoßen wird, ist eine wichtige Errungenschaft, die die mutigen Vordenker der Aufklärung einer rückständigen Kirche abgetrotzt haben. Und dass J. D. Vance mit einer nichtweißen, nichtchristlichen, indischstämmigen Ehefrau zum Vizepräsidenten der USA aufsteigen kann, ist Ausdruck einer liberalen, weltoffenen, progressiven und – Achtung! – linken Haltung, von der am Ende des Tages ausnahmslos alle Menschen profitieren.
Ausgerechnet diese beiden Spitzenpolitiker aber stehen Parteien vor, die regelmäßig christliche Prinzipien infrage stellen. Die Bibel, das ist für die „sehr gläubigen“ Christen unter uns hoffentlich nicht überraschend, verpflichtet zu Vergebung und Nächstenliebe, zu Armenspeisung, Diakonie und Caritas. In Matthäus 25, im Buch des Propheten Amos und an vielen weiteren Stellen ist es Gott selbst, der die Menschen zu Achtsamkeit gegenüber ihren Mitmenschen verdonnert. In Levitikus 19,34 heißt es gar „Der Fremde, der sich bei euch aufhält, soll euch wie ein Einheimischer gelten und du sollst ihn lieben wie dich selbst; denn ihr seid selbst Fremde in Ägypten gewesen. Ich bin der Herr, euer Gott.“
Kirchen vs. Trump, CDU und CSU
In seinem ersten Interview nach Übernahme des Vizepräsidentenamtes sprach J. D. Vance, neben vielen anderen Dingen, auch über die Kirche. Die katholische Bischofskonferenz in den USA hatte kurz zuvor die Migrationspolitik Donald Trumps hart verurteilt. Vance erklärte daraufhin der verdutzten CBS-Journalistin Margaret Brennan, dass sich die Kirche schützend vor „illegale Migranten“ stelle, die raubend und mordend durch die Straßen zögen. Als Brennan irritiert nachfragte, ob Vance ernsthaft behaupte, die katholische Kirche würde willentlich Straftäter in ihren Reihen schützen, schaffte Vance es tatsächlich, von Sexualstraftaten zu sprechen, die von illegalen Migranten begangen würden. Ohne auch nur im Entferntesten auf den Kindesmissbrauch in der katholischen Kirche einzugehen. Ein politisches Ablenkungsmanöver erster Güte.
In der CDU hadert man seit jeher mit der eigenen christlichen Identität. Bereits während der sogenanten „Asyldebatte“ im Jahr 1993 stellten sich beide christlichen Kirchen fundamental gegen die politischen Positionen von CDU und CSU. Zuletzt intervenierten die Kirchen immer wieder gegen die zahlreichen rassistischen, ausländer- und fremdenfeindlichen Aussagen, die den vergangenen Bundestagswahlkampf dominiert haben. Unvergessen ist der ehemalige Chef der Grundwertekommision der CDU, Andreas Rödder, der in einem Interview mit dem „Spiegel“ erklärte, das „C“ in CDU stehe weder für die Seenotrettung im Mittelmeer noch für eine umfangreiche Sozialpolitik. Es ist derselbe Rödder, der nun auf allen verfügbaren Kanälen eine Zusammenarbeit zwischen CDU und AfD ins Spiel bringt. Das passt zusammen.
Klöckner ihrerseits forderte nun erst in einem Interview mit dem „Domradio“, später beinahe wortgleich in der „Bild“ einen anderen Umgang der Kirchen mit politischen Positionen. Diese sollten lieber die großen religiösen Fragen besprechen und weniger tagespolitische Themen adressieren. Dass aber genau diese „tagespolitischen Themen“ ureigene kirchliche Inhalte, wie beispielsweise das christliche Menschenbild oder die Bewahrung der Schöpfung berühren, scheint der ehemaligen Religionslehrerin entfallen zu sein. Oder es ist ihr egal. Oder beides.
Jesus Christus, die Kirche, der Papst, sie alle sind hochpolitische Institutionen. Als Jesus im Jerusalemer Tempel die vielen Händler und Geldwechsler sieht, die im Vorfeld zum Gottesdienst Opfertiere verkaufen und aus den religiösen Bedürfnissen der Menschen einen Reibach machen, peitscht Jesus die Händler und Geldwechsler kurzerhand aus dem Tempel. Was er heute mit Politikern machen würde, die sich auf seinen Namen berufen und erklären, man sollte Menschen in Seenot ertrinken lassen oder Familien in Kriegsgebiete zurückschicken, möchte ich mir gar nicht erst ausmalen.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und dem Untergang des Dritten Reiches hat die evangelische Kirche die Stuttgarter Schulderklärung formuliert. Die evangelischen Christen klagten, dass sie „nicht mutiger bekannt, nicht treuer gebetet, nicht fröhlicher geglaubt und nicht brennender geliebt haben“. Nie wieder wollte man danach zu Unrecht schweigen, die Mächtigen gewähren und Menschen im Stich lassen. Wenn nun Dummköpfe in Politik und Journalismus der Kirche vorwerfen, sie würde sich unpassenderweise zu ethisch-moralischen, politischen, gesellschaftlichen und sozialen Fragen äußern, sie würde unbequem sein und sich an die Seite der Notleidenden stellen und gegen die Mächtigen positionieren, sie würde jenseits von klassisch religiösen Angelegenheiten auch in die Tagespolitik hineinpfuschen, dann hat die Kirche alles richtig gemacht.
Wenn sich die zweitmächtigste Frau der Bundesrepublik Deutschland und der zweitmächtigste Mann der Vereinigten Staaten von Amerika darüber beschweren, dass die Kirchen sie nicht gewähren lassen, dass die Kirchen sie kritisieren, dass die Kirchen nicht über die menschenverachtende Migrationspolitik der Konservativen schweigen, dann ist das bei aller berechtigten Kritik an den Kirchen ein überragender Grund, um endlich einmal stolz auf sie zu sein. Gott sei Dank.