Jedes Jahr im frühen Herbst feiern die Isländer ihr wichtigstes Fest, den Abtrieb der Schafe von den Sommerweiden. Der Fotograf Ragnar Axelsson hat die Tradition dokumentiert.
Die Heimkehr der Tiere im Herbst, nach Hause, zurück von den fernen Weiden, sie heißt Réttir. Ein Wort wie die Insel selbst: seltsam und schön.
Seit Jahrhunderten prägen die Tiere das Leben der Menschen hier, ökonomisch, kulinarisch, kulturell. Die isländischen Schafe leben größtenteils halbwild: Nach der Geburt der Lämmer im Mai entlassen die Bauern ihre Herden in die Freiheit. Wochenlang streifen die Schafe durch das Hochland, ernähren sich von Gräsern, Kräutern, Beeren und verschwinden aus dem Alltag der Menschen.
Doch im September beginnt das Réttir. Dann holen die Isländer ihre Tiere zurück. Zu Fuß, auf Quads oder auf Islandpferden machen sich die Bauern auf den Weg. Sie durchqueren Berge und Täler. Der Schafabtrieb ist aufwendig, oft verbringen die Hüter mehrere Tage im Sattel. Jedes einzelne Schaf wird mit der Hand gefangen. Ganze Familienverbände schließen sich zusammen, damit auch kein Tier entkommt.
Réttir ist mehr als Arbeit, es ist auch ein Fest. Familien, Nachbarn, Freunde kommen zusammen. Es wird musiziert, gegessen, gefeiert – und geholfen. Réttir ist ein Ritual der Gemeinschaft, Ausdruck einer Lebensweise, die sich trotz moderner Veränderungen ihren archaischen Kern bewahrt hat.
Der isländische Fotograf Ragnar Axelsson beobachtet den Schafabtrieb seit 45 Jahren. Im Bildband „Behind Mountains“ versammelt er seine Fotografien in schwarz-weiß.
Axelsson, geboren 1958 und auch bekannt als RAX, fotografiert in den entlegensten Regionen des Nordens – darunter Island, Sibirien und Grönland. Für seine Arbeiten wurde er ausgezeichnet, unter anderem mit einer Nominierung für die Shortlist des Prix Pictet. Seine Fotografien erschienen in international renommierten Magazinen und wurden weltweit in Ausstellungen präsentiert.