Wirtschaftskrise und Arbeitsplatz-Abbau dürften wieder mehr Menschen in die Verschuldung treiben. In den Beratungsstellen werden auch immer mehr Menschen mit mittleren Einkommen vorstellig.
Die Wirtschaft schwächelt, große Unternehmen im Südwesten bauen Arbeitsplätze ab – das dürfte nach Einschätzung von Sozialverbänden auch Auswirkungen auf die Verschuldungslage der Bevölkerung haben. „Wir gehen davon aus, dass die Anzahl der überschuldeten Menschen und damit die Nachfrage bei den Schuldnerberatungsstellen weiter steigen wird, wenn sich die Teuerung der Lebenshaltungskosten und der wirtschaftliche Abschwung weiter fortsetzen“, sagte Ulf Hartmann, Vorstand des Paritätischen Wohlfahrtsverbands Baden-Württemberg der Deutschen Presse-Agentur in Stuttgart.
Noch registrieren die Schuldnerberatungsstellen im Südwesten aber keinen spürbaren Anstieg der Betroffenen. „Einige Branchengrößen sind zwar bereits von Stellenabbau, Kurzarbeit und Standortschließungen betroffen, auch die internationale Lage bleibt weiterhin extrem angespannt“, sagte Nicole Pitteroff von der Diakonie Württemberg, die bei der Liga der freien Wohlfahrtspflege im Südwesten für die Schuldnerberatung zuständig ist. Um Auswirkungen der Lage auf die Schuldnerberatung beurteilen zu können, sei es aber noch zu früh.
Große regionale Unterschiede bei Verschuldung
Auswirkungen von Krisen kämen meist verspätet in den Beratungsstellen an. „Das zeigt sich darin, dass es eine ganze Weile dauert, bis Betroffene schließlich die Schuldnerberatung aufsuchen. Häufig ist dann der Leidensdruck aufgrund der akuten Überschuldungsproblematik so hoch, dass hier Monate und Jahre vergehen können“, sagte Pitteroff. Auch Schamgefühl spiele dabei eine Rolle.
Im vergangenen Jahr galten im Südwesten rund 620.000 Menschen als überschuldet, konnten also ihren finanziellen Verpflichtungen langfristig nicht mehr nachkommen. Das geht aus einer Auswertung der Wirtschaftsauskunftei Creditreform hervor und entspricht rund 6,7 Prozent der volljährigen Verbraucherinnen und Verbraucher. 2019 hatte der Wert noch bei 8,2 Prozent gelegen. Die geringste Überschuldungsquote im Land wies demnach der Landkreis Tübingen mit rund 4,8 Prozent auf, am höchsten war die Quote mit rund 11,7 Prozent im Stadtkreis Pforzheim.
Junge Menschen verschulden sich durch digitale Bezahlsysteme
Trotz des Rückgangs der Überschuldungsquote in den vergangenen Jahren suchen viele Menschen in den Schuldnerberatungsstellen Hilfe, berichtet Nicole Pitteroff. Themen seien etwa Insolvenzen von Betrieben oder Mietschulden und drohender Wohnungsverlust. Alleinerziehende und Familien seien davon oft besonders betroffen, berichtet die Expertin.
Außerdem kämen immer mehr Menschen aus dem Niedriglohnsektor und mit mittleren Einkommen in die Beratungsstellen, weil deren Ersparnisse aufgebraucht seien. Zudem gebe es Hilfebedarf bei jungen Menschen. „Neue digitale Bezahlsysteme mit Kreditoptionen bieten nicht nur Chancen, sondern bahnen, insbesondere auch bei jungen Menschen, häufig Wege von der Verschuldung in die Überschuldung“, so Pitteroff.