Wer in Whatsapp-Gruppen kommuniziert, weiß, wie schnell es gehen kann: Unser Kolumnist Micky Beisenherz beschreibt, warum ein Fragezeichen manchmal einer Kriegserklärung gleicht.

„Kann ich sonst noch was für dich tun???“

Diese Aggression im Ton irritierte mich damals. Eigentlich hatte sich ein alter Schulfreund mit seinem Reisebüro toll um mich gekümmert. Als ich noch wenige Wünsche bezüglich des gebuchten Urlaubs äußerte – die auch zu meiner Zufriedenheit erledigt wurden –, schloss er kurz und knapp mit diesen Worten. War ich zu fordernd, ja, unverschämt? Ich schien ihn ernsthaft genervt zu haben.

Ich sollte mich tagelang kaum davon erholen, bis Thorsten und ich uns auf dem Fußballplatz wiedertrafen. Während ich ein wenig reserviert war, kam er gut gelaunt auf mich zu und plauderte sich den so harsch beendeten Mailverkehr zurück. Schnell stellte sich heraus: Ich hatte die Frage völlig falsch gedeutet. Was ich als schnippisch-aggressiven Abschluss wahrnahm, war schlicht: ein freundliches Nachhaken, ob er sonst noch behilflich sein könne. Die üppig verwendete Interpunktion indes – „???“ – führte zu einer kompletten Fehlannahme. Herzlich willkommen zu einer Folge von „Die drei Fragezeichen und die falsch verstandene Höflichkeit“. Ein anschauliches Beispiel dafür, dass es bei zunehmender schriftlicher Kommunikation nahezu unmöglich wird, Zugewandtheit auszudrücken. Das geschriebene Wort hat so viel (unseliges) Deutungspotenzial, wo sich im Vis-à-vis mithilfe von Ton, Gestik und Mimik um scharfkantige Äußerungen Knisterfolie legen lässt.

Noch vor wenigen Tagen kam es in einer Whatsapp-Gruppe zu einiger Friktion. Wir organisieren uns dort, um geordnet allwöchentlich zum Fußballspielen zusammenzukommen. Bei der kontrovers diskutierten Frage, ob die erreichte Obergrenze von 16 Leuten nicht noch einen 17. Mann aushielte, fiel das verhängnisvolle Wort „Korinthenkacker“. Was in einer Schrebergartenhütte oder einem Vereinsheim vermutlich niemanden hinterm Zapfhahn hervorlockte. Gut, ich komme aus dem Ruhrgebiet. Da ist man von einer gewissen rhetorischen Robustheit und „Na, du Arschloch“ geht als normale Begrüßung durch.

Micky Beisenherz: Das Wort „Korinthenkacker“ und seine Folgen

In der Fußballgruppe hingegen fanden ellenlange Diskurse über das nicht zu unterschätzende Verletzungspotenzial des Begriffs „Korinthenkacker“ statt. Seitdem hat die Gruppe eine kleine kommunikative Delle. Wie eine nicht ganz auskurierte Verletzung. Es zieht und zwickt vernehmbar an unterschiedlichen Stellen. Auf dem Feld merkt man nichts davon. Da wird gepasst, geflankt und getrudelt, oft angenehm wortlos. So wie es in freier Wildbahn eh selten so explosiv zugeht wie in digitaler Gesprächsorganisation. Nicht nur, dass Schriftdeutsch stets ein gewisses Missdeutungspotenzial birgt. Darüber hinaus sind die Algorithmen dieser netzwerkenden Polarisierungsraffinerien so gnadenlos auf Empörung ausgelegt, dass man schon der Dalai Lama sein muss, um nicht nach wenigen Klicks durchzuticken.

Wann erleben wir es denn, dass Unterhaltungen im direkten Miteinander so harsch und unterstellungsfreudig geführt werden, wie es im Internet normal zu sein scheint? In lockerer Runde am Schwenkgrill, im Bordrestaurant oder auf der Buchmesse kommt es nahezu niemals vor, dass eine Äußerung gleich die gesamte Person definiert. Ein verunglückter Satz wird nicht zum Leitmotiv für ein umfängliches Charakterprofil. Es eskaliert nicht gleich nach einem Wortwechsel.

Ein Jahrzehnt in sozialen Netzwerken und digitalen Runden lässt mich zu der Erkenntnis gelangen, dass schriftliche Kommunikation nur noch aufs Nötigste beschränkt werden sollte. Möglicherweise war unsere Welt entspannter, als wir uns noch gegenseitig anrufen mussten. War natürlich nerviger, hatte aber den Vorteil, sich dem Individuum in seiner Eigenheit besser widmen zu können.

Ja, auf dem Fußballfeld müssen wir nicht unbedingt elf Freunde sein. Aber dass wir auf Kommunikationsplattformen zu elf Feinden werden, das kann es auch nicht sein.

Kann ich sonst noch was für Sie tun???