Anne Wojcickis DNA-Analysefirma 23andMe meldet Insolvenz an. Das schreckt Millionen Amerikaner auf, die jetzt verzweifelt versuchen, an ihre Erbgut-Daten zu kommen.
Es ist noch gar nicht lange her, da gerierte sich Anne Wojcicki als Superstar der Tech-Szene. Im April 2024 etwa tauchte die Chefin der US-Gentestfirma 23andMe beim „Breakthrough Prize“ in Los Angeles auf; eine Preisverleihung für besondere wissenschaftliche Leistungen, die Wojcicki vor mehr als zehn Jahren mit ihrem Ex-Mann Sergey Brin (Google) und Facebook-Gründer Mark Zuckerberg initiiert hatte.
Auf Fotos von dem Termin ist zu sehen, wie Wojcicki ein schwarzes, teilweise durchsichtiges Kleid mit Pailletten und Spitzenmustern trägt, sie lächelt strahlend und zeigt mit ihrem Zeigefinger auf eine rechteckige Schatulle in ihrer linken Hand: darauf ist ein menschlicher DNA-Code abgedruckt. Es ist das Produkt, das die inzwischen 51-Jährige zur Multimillionärin und zu einer der einflussreichsten Persönlichkeiten der Biotech-Branche gemacht hat.
DNA-Start-up zeitweise enorm erfolgreich
Ein knappes Jahr später droht das Lebenswerk von Anne Wojcicki zum Scherbenhaufen zu werden. Am vergangenen Sonntag meldete das von ihr mitgegründete Start-up 23andMe Insolvenz an. Der Aktienkurs des seit 2021 börsennotierten Unternehmens fiel daraufhin um mehr als 60 Prozent auf unter einen US-Dollar.
Zuvor hatte das Start-up aus South San Francisco im Silicon Valley mit den Folgen eines Datenschutzskandals und einer schwachen Nachfrage nach seinen Abstammungstests zu kämpfen – Tests, die vor nur acht Jahren noch auf Oprah Winfreys jährlicher Liste der Lieblingsprodukte standen.
Technik entlarvte Serienmörder
Die Geschichte von 23andMe beginnt 2006, als Anne Wojcicki gemeinsam mit ihren Mitgründern die Vision hatte, genetische Tests für die breite Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Das Unternehmen versprach nicht nur eine einfache Möglichkeit, die eigene Abstammung zu erforschen, sondern auch Einblicke in potenzielle Erbkrankheiten – alles basierend auf einer simplen Speichelprobe. Kunden bestellten dazu ein DNA-Testkit und schickten die Probe an das Labor, wo die DNA analysiert wurde. Nach einigen Wochen konnten Kunden ihre Ergebnisse online abrufen.
Die Idee traf einen Nerv: Rund 15 Millionen Menschen sollen nach Firmenangaben bis heute von dem Angebot Gebrauch gemacht haben. Investoren – darunter Google und namhafte Wagniskapitalgeber wie Sequoia Capital – steckten mehr als 850 Millionen US-Dollar in das Unternehmen, das 2021 zu einer Bewertung von 3,5 Mrd. Dollar an die Börse ging.
Sogar bei Ermittlungsbehörden verfing das Angebot: Sie konnten ungelöste Mordfälle teils nach Jahrzehnten aufklären, indem sie DNA-Spuren mit genealogischen Datenbanken abglichen, Verwandte der Täter identifizierten und durch Stammbaum-Analysen den Kreis der Verdächtigen eingrenzten. Ein Beleg, wie mächtig – aber auch datenschutzrechtlich heikel – Angebote wie jenes von 23andMe sind.
Schwere Datenpanne bei 23andMe vor zwei Jahren
Schon früh war auch 23andMe mit Datenpannen konfrontiert. 2010 vertauschte das Start-up die DNA-Proben von bis zu 96 Kunden, die dadurch teils unzutreffende Gendiagnosen erhielten. 2013 stoppte wiederum die US-Gesundheitsbehörde FDA zunächst den Verkauf der Gesundheitsanalysen. Die FDA befürchtete, dass Nutzer aufgrund der genetischen Informationen medizinische Entscheidungen treffen könnten, ohne dabei die nötige ärztliche Beratung zu haben. Erst 2017 erhielt 23andMe eine eingeschränkte Zulassung, die es dem Unternehmen ermöglichte, bestimmte genetische Gesundheitsberichte wieder anzubieten.
Der größte Schlag folgte indes erst 2023: Ein Datenleck legte die Informationen von fast sieben Millionen Kunden offen. Das Vertrauen brach ein, Sammelklagen drohten, und die Verkaufszahlen stürzten ab. Ende 2024 stellte 23andMe seine biopharmazeutische Forschung ein und entließ 200 Mitarbeiter – ein Zeichen für die schweren finanziellen Probleme. Das Start-up selbst arbeitete nie profitabel: In den ersten neun Monaten des Geschäftsjahres 2025, die bis Ende Dezember 2024 liefen, hat 23andMe 128 Millionen Dollar umgesetzt – und dabei einen Nettoverlust von 181,5 Millionen Dollar eingefahren.
Kunden sollen Daten eilig löschen
Die Insolvenz ließ sich angesichts dieser Zahlen offenbar nicht mehr abwenden. Da es sich um eine Insolvenz nach der US-Regelung Chapter 11 handelt, soll der Geschäftsbetrieb bei 23andMe vorerst weiterlaufen. Das Unternehmen bereite die Verkäufe der Vermögenswerte vor, hieß es in einer Mitteilung.
Die Verunsicherung ist vor allem auf Kundenseite groß: Viele fragen sich, was mit ihren DNA-Profilen im Falle einer Übernahme passiert. Datenschützer jedenfalls sind alarmiert: Sie riefen bereits eilig zur Löschung von Kundenkonten auf. Medienberichten zufolge kommt es dabei aktuell jedoch zu langen Wartezeiten.
Und Firmengründerin Anne Wojcicki? Sie trat nach Bekanntwerden der Insolvenz von ihrem Chefposten bei dem Unternehmen zurück. Aufgeben wolle sie damit aber nicht. „Auch wenn ich enttäuscht bin, dass wir zu diesem Ergebnis gekommen sind (…), unterstütze ich das Unternehmen weiterhin“, erklärte sie auf dem Kurznachrichtendienst X. Sie beabsichtige nun, am bevorstehenden Verkaufsprozesses als Bieterin teilzunehmen. „Falls es mir gelingt, (…) bleibe ich unserer langfristigen Vision verpflichtet, ein globaler Führer im Bereich der Genetik zu werden“, schrieb sie.