Bei einer Demonstration in Belgrad soll eine Schallkanone eingesetzt worden sein. Serbien verfügt vermutlich über so ein Gerät, doch der mögliche Einsatz wirft Fragen auf.

In Belgrad soll am Samstag eine Schallkanone gegen regierungskritische Demonstranten eingesetzt worden sein. Oppositionsvertreter und serbische Menschenrechtsgruppen kündigten bereits an, beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte und bei nationalen Gerichten Anklage gegen die Auftraggeber des Angriffs zu erheben. 

Bei der Massenkundgebung in Belgrad kamen etwa 100.000 Menschen zusammen, sie war der Höhepunkt von monatelangen Protesten gegen Serbiens Präsidenten Aleksandar Vučić. Die Regierung bestreitet den Einsatz hingegen, Videoaufnahmen zeigen jedoch, wie die Menschen plötzlich in Panik gerieten und fluchtartig die Straße verließen. Unabhängig davon, wer und ob so eine Waffe eingesetzt wurde, stellt sich die Frage, ob so etwas möglich ist.

Schallkanonen bei Sicherheitskräften im Einsatz

Tatsächlich existieren Schallkanonen – die genaue Bezeichnung lautet Long Range Acoustic Device (LRAD). So ein Gerät erzeugt extrem laute Schallwellen. Es ist aber nicht einfach ein großer Lautsprecher. LRAD fokussiert den Schall in einem scharfen Strahl. Erst dadurch kann das Gerät gezielt eingesetzt werden. Der Fokus verhindert auch, dass die Lautstärke mit zunehmender Entfernung schnell abnimmt, so wie es bei einer natürlichen Schallquelle geschieht. 

Der LRAD-Schall wirkt bis zu einem Kilometer. Grundsätzlich ist das Verfahren nicht neu, Sicherheitskräfte benutzen seit langem Granaten, die Blitz und Schallknall emittieren und so zu einem Schock und Desorientierung führen. LRADs senden Töne mit einer Lautstärke von bis zu 160 Dezibel ab.

Ein startendes Flugzeug erreicht etwa 140 Dezibel. So starke Schallwellen können Schmerzen, Desorientierung, Übelkeit und sogar dauerhafte Hörschäden verursachen, vor allem in unmittelbarer Nähe der Kanone. Der Einsatz ist wegen der Gesundheitsschäden umstritten. Andere gängige Methoden, mit denen Demonstrationen oder Menschenmengen aufgelöst werden, sind allerdings nicht ungefährlicher. Tränengas und Wasserwerfer führen häufig auch zu Verletzungen, ebenso wie Schlagstöcke und Räumfahrzeuge. 

Von Gummigeschossen, wie sie in Frankreich benutzt werden, nicht zu reden. Ursprünglich wurde die Technik für das Militär entwickelt, etwa um Piraten abzuwehren, inzwischen haben viele Länder sie auch für polizeiliche Aufgaben angeschafft. Dazu gehören nicht nur Staaten wie Russland, USA und China, sondern auch Indien, Großbritannien und Australien. Griechenland zum Beispiel soll seit 2021 LRAD-Geräte gegen Migranten aus der Türkei einsetzen. Serbien soll 2022 ein entsprechendes Gerät in Israel gekauft haben.

Es fehlt die Lautstärke

Die Nachrichten aus Belgrad sprechen allerdings gegen eine Schallkanone, zumindest so, wie sie bisher bekannt ist. Normalerweise würde man ein extrem lautes, sehr gut hörbares Geräusch vernehmen. In Belgrad hingegen ist mit dem Ohr kaum etwas wahrzunehmen. Eine Panik ohne wahrnehmbare Töne ist nicht typisch für eine klassische Schallkanone. Denkbar wäre der Einsatz von sehr tieffrequentem Schall. 

Auch er löst Unbehagen, Angst, Übelkeit, Schwindel und Panik aus. Über das Innenohr kann er das Gleichgewicht stören, bei hohem Schalldruck ruft dieser Schall das Gefühl von Atemnot hervor. Der Nachteil an der Technik ist, dass sie nicht als Strahl gerichtet werden kann, dadurch wird auch die Reichweite begrenzt. 

Andererseits ist die Technik beängstigender, weil der Schall nicht vom Opfer gehört wird und weil die Opfer die Quelle nicht lokalisieren können. Es gibt Spekulationen, dass an solchen Geräten geforscht wurde, allerdings gibt es keinen Hinweis, dass sie als Produkt gebaut wurden oder gar im Besitz der serbischen Sicherheitskräfte sind.

Fazit

Die Videoaufnahmen belegen, dass etwas Unbekanntes die Menschen plötzlich in Panik versetzte und sie voller Angst flohen. Die serbische Regierung könnte eine LRAD besitzen, aber die Ereignisse in Belgrad passen nicht zum Profil einer klassischen Schallkanone – der fehlende laute Ton ist ein starkes Gegenargument. Eine spekulative Alternative wäre der Einsatz von tieffrequentem Schall, wobei aber unklar bleibt, welches Gerät verwendet wurde und durch wen es geschah. 

Nur in extremen Fällen führen Schallwaffen zu Verletzungen, die in einem Krankenhaus dokumentiert werden können. Es bleiben nur die Berichte der Betroffenen über die Symptome. Und auch am Einsatzort lässt der Schall keine materiellen Spuren zurück, die gesichert werden können – wie es etwa Tränengas machen würde. Beide Faktoren erschweren eine Aufklärung.