Nicht Homo antecessor, aber auch kein richtiger Vertreter von Homo erectus: Forschende haben in der spanischen Elefantengrube Gesichtsknochen eines Frühmenschen entdeckt, die Fragen aufwerfen

Wann besiedelten die ersten Frühmenschen Europa? Zu welcher Art gehörten sie? Und wie verbreiteten sie sich über den Kontinent? Fragen, über die Forschende seit Jahrzehnten diskutieren. 

Der bislang früheste Beleg für die Gattung Homo in Eurasien sind die 1,8 Millionen Jahre alten Fossilien von Dmanissi in Georgien. In Westeuropa, in Spanien, wurde 2007 ein Kieferknochen entdeckt, der zwischen 1,1 und 1,2 Millionen Jahre alt ist. Und nun haben Forschende in der Elefantengrube (Sima del Elefante) im Norden Spaniens einen Gesichtsknochen entdeckt, der noch älter ist: bis zu 1,4 Millionen Jahre. Bei dem Fossil ATE7-1 mit dem Spitznamen „Pink“ handelt sich um das älteste Gesicht Westeuropas – und es wirft neue Fragen über den Stammbaum des Menschen in Europa auf. 

Forschende bezeichnen „Pink“ als Homo aff. erectus

Denn das kleine Fragment, die linke Schläfen-, Wangen- und Oberkieferpartie eines Erwachsenen, lässt sich schwer in die bisherige Fundlage homininer Fossilien einordnen. „Seine Merkmale unterscheiden sich von denen der evolutionär früheren Dmanissi-Homininen, insbesondere im Nasenbereich. Es unterscheidet sich jedoch auch von den Überresten des Homo antecessor„, schreiben die Forschenden um Rosa Huguet im Fachjournal „Nature“. Auf die Archäologin und Mitentdeckerin von ATE7-1 geht auch der Spitzname „Pink“ zurück, lässt sich ihr Vorname auf Englisch doch entsprechend übersetzen.

Insbesondere das massive, vorspringende Mittelgesicht deute darauf hin – so die Forschenden –, dass der Knochen nicht von Homo antecessor stamme, der in der Region nachweislich vor etwa 900.000 Jahren lebte. Im Gegensatz zu dem älteren Homo erectus weise „Pink“ jedoch moderne Eckzahngruben im Oberkiefer auf. Überhaupt sei das Gesicht schmaler als das anderer Homo-erectus-Vertreter.

Deshalb bezeichnen die Forschenden „Pink“ als Homo aff. erectus, wobei „affinis“ so viel wie benachbart oder nahestehend bedeutet. Damit ordnen Rosa Huguet und ihr Team ATE7-1 einer bislang unbekannten Abstammungslinie zu, die eng mit Homo erectus verwandt, aber nicht identisch ist.

Die Knochen des Fossils ATE7-1 wurden 2022 in der Höhle Sima del Elefante in der Sierra de Atapuerca im Norden Spaniens entdeckt. In dem Gebirge haben Forschende bereits mehrere Fossilien freigelegt
© Maria D. Guillén / IPHES-CERCA, Elena Santos / CENIEH / AP

In jedem Fall belegt „Pink“, dass mit Homo aff. erectus und Homo antecessor zwei unterschiedliche Menschenarten innerhalb weniger Hunderttausend Jahre in einer Region gelebt haben. „Es gibt verschiedene Szenarien, die diese Ablösung erklären könnten, darunter die Möglichkeit einer kurzen Überschneidung zwischen einer Restpopulation von Homo aff. erectus und der Ankunft von Homo antecessor„, erklären die Forschenden. „Eine alternative Theorie besagt, dass Homo aff. erectus vollständig verschwunden war, bevor Homo antecessor eintraf, möglicherweise aufgrund widriger Klima- und Umweltbedingungen.“

Das Forschungsteam hofft nun auf weitere Fossilienfunde, um die Besiedlungsgeschichte Westeuropas und das Beziehungsgeflecht verschiedener Frühmenschenarten zu entschlüsseln.